Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein Kinderspiel

Kein Kinderspiel

Titel: Kein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
Vom Netzwerk:
sechs Monaten in einem Kinderbett und ist am Verhungern. Ich kann seine Rippen sehen. Die Schweine haben ihm die Hände zusammengebunden, Kenzie, und seine Windel ist so voll, daß es schon außen rauskommt, und er klebt… er klebt an der Scheiß Matratze fest, Kenzie!«
    Broussards Augen quollen hervor, und sein Körper wurde hin-und hergeschüttelt. Er hustete Blut auf sein Hemd, verrieb es mit der Hand und schmierte es sich ans Kinn.
    »Ein Baby«, flüsterte er schließlich, »das mit seinen wundgelegenen Stellen und seinen Fäkalien an der Matratze festklebt. Drei Tage lang lag es in diesem Zimmer und schrie sich die Lunge aus dem Hals. Keiner hat sich drum gekümmert.« Er streckte die blutverschmierte linke Hand aus und ließ sie auf den Boden fallen. »Keiner hat sich drum gekümmert«, wiederholte er leise.
    Ich legte ebenfalls die Waffe in meinen Schoß und betrachtete die Lichter der Stadt. Vielleicht hatte Broussard recht. Eine ganze Stadt von Leuten, die sich nicht kümmerten. Ein ganzer Bundesstaat. Vielleicht sogar ein ganzes Land.
    »Also hab’ ich ihn mit nach Hause genommen. Ich kannte genug Leute, die zu ihrer Zeit Lebensläufe gefälscht haben. Einen davon habe ich bezahlt. Jetzt besitzt mein Sohn eine Geburtsurkunde mit meinem Nachnamen drauf. Die Unterlagen über die Sterilisation meiner Frau wurden vernichtet, dann wurden neue angelegt, in denen steht, daß sie erst nach der Geburt unseres Sohnes Nicholas die Einwilligung zu diesem Eingriff gab. Ich mußte nur noch diese letzten paar Monate überstehen, dann wollte ich mich zur Ruhe setzen. Wir wären in einen anderen Staat gezogen, ich hätte mir einen laschen Job als Sicherheitsberater besorgt und meinen Sohn großgezogen. Und ich wäre sehr, sehr glücklich gewesen.«
    Ich ließ den Kopf hängen und betrachtete meine Schuhe auf dem Kies.
    »Sie hat ihren Sohn noch nicht mal als vermißt gemeldet«, sagte Broussard.
    »Wer?«
    »Die Schlampe, die meinen Sohn zur Welt gebracht hat. Sie hat nicht mal nach ihm gesucht. Ich weiß, wer es ist. Eine Zeitlang wollte ich ihr für die ganze Scheiße den Kopf vom Hals blasen. Hab’ ich aber nicht gemacht. Und sie hat ihr Kind kein einziges Mal gesucht.«
    Ich hob den Kopf und sah ihn an. Er sah stolz, zornig und tieftraurig aus, weil er in die Abgründe dieser Welt gesehen hatte.
    »Ich will einfach nur Amanda«, sagte ich.
    »Warum?«
    »Weil das mein Job ist, Remy. Weil das mein Auftrag ist.«
    »Und mein Job heißt schützen und dienen, du Idiot. Weißt du, was das bedeutet? Das ist ein Eid. Schützen und dienen. Das habe ich getan. Ich habe mehrere Kinder beschützt. Ich habe ihnen gedient. Ich haben ihnen ein gutes Zuhause gegeben.«
    »Wie viele?« fragte ich. »Wie viele waren es?«
    Er bewegte den blutigen Finger hin und her. »Nein, nein, nein.«
    Plötzlich warf er den Kopf in den Nacken, sein Körper wurde steif. Der linke Absatz trat in den Kies, und der Mund öffnete sich weit zu einem geräuschlosen Schrei.
    Ich fiel neben ihm auf die Knie, konnte jedoch nichts anderes tun, als zuzusehen.
    Nach kurzer Zeit erschlaffte sein Körper, und er schloß die Augen. Ich hörte ihn ein-und ausatmen.
    »Remy!«
    Er schlug ein Auge auf. »Bin noch da«, brachte er undeutlich hervor. Er hob den Finger. »Du weißt, daß du Schwein hast, Kenzie. Riesenschwein.«
    »Warum?«
    Er lächelte. »Hast du’s nicht gehört?«
    »Was denn?«
    »Eugene Torrel ist letzte Woche gestorben.«
    »Wer ist…?« Ich lehnte mich zurück, und er grinste breit, als er merkte, daß ich mich erinnerte: Eugene war der Junge, der zugesehen hatte, als wir Marion Socia umbrachten.
    »Wurde in Brockton wegen einer Frau erstochen.« Wieder schloß Broussard die Augen. Sein Lächeln wurde weicher, verrutschte ein wenig. »Du hast echt Glück. Jetzt hab’ ich nichts mehr gegen dich als eine wertlose Aussage von einem toten Loser.«
    »Remy!«
    Flackernd öffnete er die Augen, das Gewehr rutschte ihm aus der Hand in den Kies. Er beugte den Kopf zur Seite, griff aber nicht danach.
    »Los, komm, Mann. Tu noch etwas Richtiges, bevor du stirbst. Du hast eine Menge Blut an den Händen.«
    »Ich weiß«, lallte er. »Kimmie und David. Das hättest du im Leben nicht von mir gedacht, oder?«
    »In den letzten vierundzwanzig Stunden hat es an mir genagt«, gab ich zu. »Du und Poole?«
    Er schüttelte vorsichtig den Kopf. »Nicht Poole. Pasquale. Poole hat nie geschossen. Das kam für ihn nicht in Frage. Beschmutze sein Andenken

Weitere Kostenlose Bücher