Kein Kinderspiel
der Schwärze die durchgerosteten Stufen zu erahnen. Vorsichtig griff ich erst zum Geländer, bevor ich den nächsten Schritt tat, in der Hoffnung, auf Eisen zu treten und nicht auf eine wütende, hungrige Ratte.
Im ersten Stock hatten sich meine Augen ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt, doch konnte ich nur einen leeren Speicher, Umrisse von umgekippten Paletten und den schwachen Schein der Straßenlaternen erkennen, der durch die trüben, zersplitterten, bleigefaßten Fenster fiel. Die Treppen waren in jedem Stockwerk immer an der gleichen Stelle angebracht, so daß ich mich, um die nächste Stiege zu erreichen, an der Wand links entlangtasten und ungefähr fünf Meter zurückgehen mußte, bis ich die Lücke fand, das Gestänge aus dicken Eisenrohren erfühlte und die rechteckige Öffnung über mir erkennen konnte.
Als ich dort stand, hörte ich ein schweres metallisches Ächzen einige Stockwerke weiter oben, darauf den dumpfen Laut einer schweren Stahltür, die langsam ins Schloß fiel.
Ich nahm zwei Stufen auf einmal, stolperte mehrmals, bog im zweiten Stockwerk um die Ecke, lief zur nächsten Treppe. Jetzt rannte ich noch schneller, meine Beine hatten sich an einen Rhythmus gewöhnt, ahnten, wo sich in der Dunkelheit die nächste Stufe befand.
Auf keiner Etage war etwas zu sehen, doch in jedem Stockwerk warfen die Hochhäuser vom Hafen und der Innenstadt mehr Licht durch die bis auf den Boden reichenden Fenster. Das Treppenhaus war trotzdem dunkel, von den rechteckigen Öffnungen in der Decke abgesehen. Als ich die letzte Treppe erreichte, die den Blick auf den mondbeschienenen Himmel freigab, rief mir Broussard vom Dach etwas zu.
»Hey, Patrick, ich würde besser unten bleiben.«
»Wieso?« rief ich zurück.
Er hustete. »Weil ich meine Pistole auf die Öffnung gerichtet habe. Wenn du deinen Kopf durchsteckst, blas’ ich ihn dir weg.«
»Oh.« Ich lehnte mich gegen das Geländer, roch den Hafenkanal und die kühle, frische Nachtluft. »Was hast du da oben vor, willst du dich wieder vom Hubschrauber rausholen lassen?«
Er kicherte. »Einmal im Leben ist genug. Nee, ich dachte einfach, ich setz’ mich hier ein bißchen hin und guck’ die Sterne an. Mann, du bist vielleicht ein beschissener Schütze!« zischte er.
Ich sah durch die Öffnung auf den Mond. Nach dem Klang seiner Stimme zu urteilen, mußte er sich links vom Ausstieg befinden.
»Aber gut genug, um dich zu treffen«, sagte ich.
»Das war ein Scheiß Querschläger«, gab er zurück. »Ich zieh’ mir die ganze Zeit Splitter aus dem Bein.«
»Meinst du damit, ich hab’ den Boden getroffen und dann erst dich?«
»Genau das meine ich. Wer war denn der Typ?«
»Welcher?«
»Der mit dir in der Kneipe war.«
»Auf den du geschossen hast?«
»Ja, genau der.«
»Justizministerium.«
»Ohne Scheiß? Ich hab’ ihn für so eine Art Spion gehalten. So verdammt ruhig war der. Hat drei Schüsse auf Pasquale abgegeben, als würde er Schießübungen machen. Als wär’ das gar nichts. Als ich ihn am Tisch sitzen sah, wußte ich, die Sache läuft schief.«
Wieder hustete er. Ich schloß die Augen und lauschte gespannt, während er ungefähr zwanzig Sekunden lang vor sich hin röchelte. Als er aufhörte, war ich mir sicher, daß er ungefähr zehn Meter links von der Öffnung saß.
»Remy?«
»Ja.«
»Ich komme raus.«
»Dann hast du eine Kugel im Kopf.«
»Hab’ ich nicht.«
»Nein?«
»Nein.«
Die Pistole entlud sich in der Nachtluft, die Kugel peitschte gegen den an der Wand befestigten Stahlträger der Treppe. Das Metall schlug Funken, als habe jemand ein Streichholz daran entzündet, und ich ließ mich auf die Stufen fallen.
während die Kugel über meinen Kopf hinwegsauste, von einem anderen Metallstück abprallte und schließlich mit einem zischenden Geräusch links von mir in der Wand einschlug.
Ich blieb noch etwas liegen. Das Herz klopfte mir bis zum Hals - kein angenehmes Gefühl.
»Patrick?«
»Ja?«
»Hab’ ich dich erwischt?«
Ich richtete den Oberkörper auf und kniete mich hin. »Nein.«
»Ich hab’ dir doch gesagt, daß ich schieße.«
»Danke schön. Du bist echt klasse.«
Wieder erklang ein abgehacktes Husten, dann ein Gurgeln, und schließlich spuckte er aus.
»Hört sich nicht gerade gut an«, bemerkte ich.
Er gab ein rauhes Lachen von sich. »Sieht auch nicht gerade gut aus. Deine Kollegin hat wirklich ‘ne Menge Zielwasser getrunken, Mann.«
»Hat sie dich erwischt?«
»Und wie. So gewöhnt man sich
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