Kein Kinderspiel
Sache verändert, das weiß ich genau. Kannst du mir glauben.« Er bewegte sich leicht und stöhnte vor Schmerz. »Da muß ich - ich, verdammt noch mal! - mit einem Versager wie Cheese gemeinsame Sache machen. Auch wenn ich ihn erledigt habe, das ging ganz schön ans Ego, Mann, das kann ich dir sagen.«
»Wo ist Likanski?« wollte ich wissen.
Er sah zu mir hoch. »Dreh dich mal um und guck rechts nach unten.«
Ich tat, wie mir geheißen. Der Fort Point Channel hob sich vom hellen, staubigen Ufer ab, floß unter der Summer und Congress Street und einigen Brücken hindurch und erstreckte sich bis zur Skyline des Bostoner Hafens mit seinen dunklen Gebäuden und Molen.
»Schläft Ray bei den Fischen?« fragte ich.
Broussard grinste mich müde an. »Denke schon.«
»Seit wann?«
»Damals an dem Abend im Oktober, als ihr beiden den Fall übernahmt, hab’ ich ihn mir geholt. Er wollte sich gerade aus dem Staub machen. Hab’ ihn über das Ding befragt, das er mit Cheese laufen hatte. Aber das muß ich ihm lassen, er ist nicht damit rausgerückt, wo er das Geld versteckt hatte. Hätte nie gedacht, daß er soviel Rückgrat haben würde, aber zweihundert Riesen lassen manche Leute wohl zur Höchstform auflaufen. Na ja, er wollte jedenfalls abhauen. Das wollte ich aber nicht. Dann wurde es handgreiflich.«
Er hustete stark, beugte sich vor und drückte die Hand auf das Loch in der Brust, das Gewehr auf dem Schoß hielt er fest.
»Du mußt hier vom Dach runter.«
Er sah mich an und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Ich glaube nicht, daß ich irgendwohin muß.«
»Los, komm! Sterben bringt doch nichts!«
Er schenkte mir sein wunderbares Jungenlächeln. »Komisch, ich würde im Moment genau das Gegenteil behaupten. Hast du kein Handy, um einen Krankenwagen zu rufen?«
»Nein.«
Er legte das Gewehr wieder auf seinen Schoß und holte ein schmales Nokia aus der Lederjacke. »Ich aber«, sagte er, drehte sich um und warf es nach unten.
Ich hörte, wie es leise scheppernd auf dem Bürgersteig sieben Stockwerke tiefer aufschlug.
»Keine Sorge«, kicherte er, »das Scheißding hat Garantie. «
Ich seufzte und setzte mich auf eine schmale Steigleitung am Rande des Daches.
»Du willst also unbedingt hier oben sterben.«
»Ich will auf keinen Fall in den Knast.« Er schüttelte den Kopf. »Ich vor Gericht? Nie und nimmer, Kumpel.«
»Dann sag mir, wo sie ist, Remy. Los, komm!«
Er riß die Augen auf. »Damit du sie dir holen kannst? Und sie zu diesem Scheiß Monster zurückbringst, die ihre Mutter sein soll? Fick dich ins Knie, Mann! Amanda bleibt, wo sie ist. Verstanden? Sie bleibt so glücklich, wie sie jetzt ist. Gut ernährt, sauber und umsorgt. Endlich hat sie ein bißchen Spaß im Leben, hat eine Chance. Wenn du glaubst, ich sag’ dir, wo sie ist, Kenzie, dann Zweifel’ ich an deinem Verstand.«
»Die Leute, bei denen sie jetzt ist, haben sie entführt.«
»Oh nein. Falsch. Ich habe sie entführt. Das sind Leute, die ein Kind aufgenommen haben.« Er blinzelte mehrmals, da ihm der Schweiß in die Augen lief. Dann sog er den Atem ein, in seiner Brust rasselte es. »Du bist heute morgen bei mir zu Hause gewesen. Meine Frau hat mich angerufen.«
Ich nickte. »Sie hat bei Lionel angerufen und das Lösegeld gefordert, stimmt’s?«
Er hob die Schultern und sah in die Ferne. »Du bei mir zu Hause«, sagte er dann. »Mann, das hat mich angekotzt.« Er schloß kurz die Augen. »Hast du meinen Sohn gesehen?«
»Das ist nicht dein Sohn.«
Er blinzelte. »Hast du meinen Sohn gesehen?«
Ich blickte kurz zu den Sternen auf, die klar am Himmel standen - eine Seltenheit in dieser Gegend. »Ich hab’ ihn gesehen«, antwortete ich.
»Ein toller Junge. Weißt du, wo ich ihn gefunden habe?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ich war in der Sozialsiedlung Somerville und hab’ mit einem V-Mann gequatscht. Ich war allein, und da hör’ ich dieses Kind schreien. Und zwar so richtig, als würde es von Hunden gebissen. Und der Typ und die anderen Leute, die über den Gang gehen, hören es nicht. Die hören es einfach nicht. Weil sie es jeden Tag hören. Ich sag’ also zu dem V-Mann, er soll sich verpissen, geh’ dem Geschrei hinterher und trete die Tür von einer Wohnung ein, die so richtig nach Scheiße stinkt. Da hab’ ich ihn gefunden. Sonst war keiner in der Bude. Mein Sohn - und er ist mein Sohn, Kenzie, und wenn du das nicht glauben willst, kannst du verrecken - ist am Verhungern. Er liegt mit seinen
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