Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein Kinderspiel

Kein Kinderspiel

Titel: Kein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
Vom Netzwerk:
Job. Sie haben vor ein paar Jahren diesen Mann gefunden, der so viele Leute umgebracht hat, und Sie haben auf dem Spielplatz das Baby und die Mutter gerettet, Sie…«
    »Mrs. McCready!« Angie hob die Hand.
    »Keiner wollte, daß ich zu Ihnen gehe«, fuhr sie fort. »Helene nicht, mein Mann nicht, die Polizei nicht. Das ist Geldverschwendung, meinten alle. Sie ist doch nicht mal dein Kind, meinten sie.«
    »Liebes!« Lionel legte seine Hand auf die ihre.
    Sie schüttelte ihn ab und beugte sich vor, bis ihre Arme auf dem Schreibtisch lagen und sich ihr saphirblauer Blick in meine Augen bohrte.
    »Mr. Kenzie, Sie können sie finden.«
    »Nein«, widersprach ich vorsichtig. »Nicht, wenn sie gut genug versteckt ist. Nicht, wenn schon viele Leute umsonst nach ihr gesucht haben, die darin genau so gut sind wie wir. Wir sind nur zwei weitere Personen, Mrs. McCready. Mehr nicht.«
    »Ja, und?« Ihre Stimme war wieder leise, eisig.
    »Wir meinen«, erwiderte Angie, »was können vier Augen mehr schon ausrichten?«
    »Aber was schaden Sie?« gab Beatrice zurück. »Können Sie mir das sagen? Was schadet es?«

2
    Vom Standpunkt eines Detektivs betrachtet, hat das Verschwinden eines Kindes viel mit einem Mordfall gemeinsam, hat man Flucht und Entführung durch ein Elternteil erst einmal ausgeschlossen: Wenn der Fall nicht in den ersten 72 Stunden gelöst wird, sinkt die Chance gegen null. Das bedeutet nicht unbedingt, daß das Kind tot ist, aber die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß. Doch sollte das Kind noch leben, geht es ihm wahrscheinlich schlimmer als vorher. Denn wenn Erwachsene ein unbeaufsichtigtes Kind finden, gibt es nur zwei mögliche Reaktionen: entweder helfen sie ihm oder nicht. Und wenn sie ihm nicht helfen, ist das Motiv nicht schwer zu finden - selbst wenn die Methoden variieren, mit denen man ein Kind ausnutzen kann, von Entführung mit Lösegeldforderung über das Einsetzen der Kinder als Arbeitskräfte, über sexuellen Mißbrauch für persönliche oder geschäftliche Zwecke bis hin zum Mord -, so liegt doch keiner dieser Methoden ein altruistisches Motiv zugrunde. Und sollte so ein Kind überleben und irgendwann gefunden werden, hat es so tiefe Narben davongetragen, daß das Gift niemals aus seinem Blut gewaschen werden kann.
    In den letzten vier Jahren hatte ich zwei Männer getötet. Ich hatte zusehen müssen, wie mein ältester Freund und eine Frau, die ich kaum kannte, vor meinen Augen starben. Ich hatte Kinder gesehen, die auf unvorstellbare Weise geschändet waren, hatte Männer und Frauen kennengelernt, die töteten, als sei es eine Reflexhandlung, hatte Beziehungen in der Gewalt verbrennen sehen, mit der ich mich wissentlich umgeben hatte.
    Und ich war es leid.
    Amanda McCready war zu diesem Zeitpunkt seit mindestens sechzig Stunden verschwunden, vielleicht sogar schon seit siebzig Stunden. Ich wollte sie nicht irgendwo mit blutgetränktem Haar in einem Müllcontainer finden. Ich wollte sie nicht sechs Monate später mit leerem Blick am Straßenrand finden, verbraucht und fortgeworfen von einem Perversen mit einer Videokamera und einem pädophilen Bekanntenkreis. Ich wollte nicht einer Vierjährigen in die Augen sehen und erkennen, daß alles Reine in ihr zerstört war.
    Ich wollte Amanda McCready nicht finden. Sollte es jemand anderes tun!
    Aber vielleicht, weil ich mich im Laufe der letzten Tage schon ebenso intensiv mit dem Fall beschäftigt hatte wie der Rest der Stadt, oder weil es hier bei mir um die Ecke passiert war, oder weil die Worte vierjährig und vermißt nicht in denselben Satz gehörten, machten wir aus, Lionel und Beatrice McCready eine halbe Stunde später in Helenes Wohnung zu treffen.
    »Also übernehmen Sie den Fall?« fragte Beatrice, als sie und Lionel sich erhoben.
    »Das müssen wir erst miteinander besprechen«, erwiderte ich.
    »Aber…«
    »Mrs. McCready«, sagte Angie, »in diesem Metier gibt es bestimmte Vorgehensweisen. Wir müssen uns beraten, bevor wir Ihnen einen Antwort geben.«
    Das gefiel Beatrice nicht, aber sie merkte, daß sie nicht viel daran ändern konnte.
    »Wir kommen in einer halben Stunde bei Helene vorbei«, verabschiedete ich mich.
    »Vielen Dank«, erwiderte Lionel und zog seine Frau am Ärmel.
    »Ja. Danke«, sagte auch sie, doch klang es nicht ganz ehrlich. Ich hatte das Gefühl, sie würde erst Ruhe geben, wenn der Präsident die Nationalgarde auf die Suche nach ihrer Nichte schickte.
    Wir lauschten ihren Schritten, die im Treppenhaus des

Weitere Kostenlose Bücher