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Kein Kinderspiel

Kein Kinderspiel

Titel: Kein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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sagte ich sanft.
    Sie sah mir in die Augen. »Ich liebe dich auch.«
    »Ja?«
    »O ja.«
    »Macht einem Angst, was?«
    »Manchmal schon.« Sie zuckte mit den Achseln. »Manchmal überhaupt nicht.«
    Wir saßen eine Weile da und schwiegen. Dann sah Angie zum Fenster herüber.
    »Ich weiß bloß nicht, ob wir diese… diese Scheiße momentan gebrauchen können.«
    »Was für eine Scheiße?«
    »Ein vermißtes Kind. Nein, schlimmer: ein vom Erdboden verschlucktes Kind.« Sie schloß die Augen und atmete die warme Luft durch die Nase ein. »Ich bin gerne glücklich.« Dann schlug sie die Augen auf und blickte wieder zum Fenster herüber. Ihr Kinn zitterte leicht. »Verstehst du?«
    Vor eineinhalb Jahren waren Angie und ich eine Beziehung eingegangen, die nach Meinung unserer Freunde schon seit Jahrzehnten bestand. Und diese achtzehn Monate waren gleichzeitig die erfolgreichsten in der Geschichte unseres Detektivbüros gewesen.
    Vor etwas weniger als zwei Jahren hatten wir den Gerry—Glynn-Fall abgeschlossen oder hatten ihn, besser gesagt, knapp überlebt. Der erste Massenmörder in Boston seit dreißig Jahren hatte viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, und die war auch uns zuteil geworden, die wir ihn zur Strecke gebracht hatten. Die öffentliche Aufmerksamkeit - Zeitungsberichte in allen Staaten, immer neue Aufgüsse in den Skandalblättchen, zwei True-Crime-Taschenbücher (angeblich war ein drittes in der Mache) - hatte aus Angie und mir zwei der bekanntesten Privatermittler in dieser Stadt gemacht.
    In den ersten fünf Monaten nach Gerry Glynns Tod hatten wir uns geweigert, Aufträge anzunehmen, doch das machte uns für potentielle Klienten nur noch interessanter. Nach dem Abschluß einer Ermittlung, bei der wir eine verschwundene Frau namens Desiree Stone suchten, nahmen wir wieder andere Aufträge an. In den ersten Wochen gaben sich die Auftraggeber die Klinke in die Hand.
    Ohne jemals darüber gesprochen zu haben, lehnten wir spontan alle Fälle ab, die gewalttätig wirkten oder uns tiefere Einblicke in die Abgründe der menschlichen Natur gewährten. Ich glaube, wir beide hatten das Gefühl, uns eine Pause verdient zu haben. So beschränkten wir uns auf Versicherungsbetrug, rechtswidriges Handeln von Firmen und Scheidungen.
    Im Februar hatten wir sogar den Bitten einer älteren Frau nachgegeben, ihren vermißten Leguan zu suchen. Das scheußliche Biest hieß Puffy und war ein 42 Zentimeter langes, schillernd grünes Monstrum mit einer, wie sich seine Besitzerin ausdrückte, »negativen Einstellung gegenüber allem Menschlichen«. Wir fanden Puffy in der Wildnis von Boston, als er gerade über das sumpfige vierzehnte Grün des Belmont Hills Country Club flitzte. Sein stacheliger Schwanz schlug bedrohlich hin und her, als er auf den schmalen Sonnenstrahl zuhechtete, den er auf dem Fairway des fünfzehnten Grüns erspähte. Er war eiskalt, doch er ergab sich kampflos. Beinahe wäre er jedoch zu einem Gürtel verarbeitet worden, als er sich auf dem Rücksitz unseres Firmenwagens erleichterte, doch bezahlte die Besitzerin die Reinigung und entlohnte uns großzügig, weil wir ihren geliebten Puffy zurückgebracht hatten.
    So ein Jahr war es gewesen. Eignete sich nicht gerade gut für spannende Geschichten in der Kneipe um die Ecke, dafür hatte es unserem Konto erstaunlich gutgetan. Und auch wenn es peinlich war, einen verhätschelten Leguan über einen gefrorenen Golfplatz zu jagen, so war es doch besser, als eine Zielscheibe für andere darzustellen. Tausendmal besser.
    »Meinst du, wir haben den Verstand verloren?« hatte mich Angie vor kurzem gefragt.
    »Mit Sicherheit«, gab ich zurück. Und grinste.
    »Was ist, wenn sie tot ist?« fragte Angie, als wir die Treppen des Glockenturms hinunterstiegen.
    »Das wäre schlecht«, erwiderte ich.
    »Es wäre schlimmer als das, je nachdem, wie tief wir in dem Fall steckten.«
    »Dann willst du ihnen also absagen.« Ich öffnete die Tür, die auf den hinteren Schulhof führte.
    Sie sah mich an, den Mund leicht geöffnet, als habe sie Angst, die Absage in Worte zu kleiden, sie auszusprechen und zu wissen, daß sie durch diesen Satz zu einem Menschen wurde, der einem Kind die Hilfe verweigerte.
    »Ich bin noch nicht soweit, daß ich ihnen zusagen will«, brachte sie hervor, als wir zum Auto kamen.
    Ich nickte. Ich kannte das Gefühl.
    »Diese ganze Geschichte mit dem Verschwinden ist oberfaul«, meinte Angie, als wir die Dorchester Avenue hinunter zur Wohnung von Helene und

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