Kein Kinderspiel
mir bist, daß wir dadurch, wenn wir es zulassen würden, Leben schaffen könnten?«
Ich legte den Kopf zur Seite und schlug die Augen auf, sah sie an. Sie hielt meinem Blick ruhig stand. Die verschmierte Maskara unter ihrem linken Auge sah in der weichen Dämmerung unseres Schlafzimmers wie ein Bluterguß aus.
Und es war doch jetzt unser Schlafzimmer, oder? Zwar besaß sie noch das Haus in der Howes Street, in dem sie aufgewachsen war, auch hatte sie noch den Großteil ihrer Möbel dort untergestellt, doch hatte sie seit fast zwei Jahren keine Nacht mehr dort verbracht.
Unser Schlafzimmer. Unser Bett. Unsere Bettdecken wickelten sich um unsere Körper, die so eng beieinanderlagen, deren Herzen pochten, deren Fleisch so fest gegeneinander gepreßt war, daß ein Beobachter nur schwerlich beurteilen konnte, welches Körperteil zu wem gehörte. Selbst ich hatte da manchmal Schwierigkeiten.
»Ein Kind«, sagte ich.
Sie nickte.
»Ein Kind«, wiederholte ich, »in diese Welt setzen. Bei unserer Arbeit.«
Wieder nickte sie, und diesmal glänzten ihre Augen.
»Willst du das?«
»Das habe ich nicht gesagt!« flüsterte sie und küßte mich auf die Nasenspitze. »Ich hab’ dich gefragt, ob du schon mal darüber nachgedacht hast. Hast du dir schon mal Gedanken gemacht über die Macht, die wir besitzen, wenn wir uns in diesem Bett lieben und die Federn laut quietschen und wir laut stöhnen und sich alles so… ja, so herrlich anfühlt, und nicht nur vom Körper her, sondern weil wir - du und ich - in dem Moment vereint sind?« Sie drückte die Hand auf meine Lenden. »Wir sind imstande, Leben zu schaffen, mein Schatz. Du und ich. Ich brauche nur eine Pille vergessen - die Chancen stehen eins zu, was war das noch mal, hunderttausend? -, und schon würde in diesem Augenblick in mir ein Leben entstehen. Dein Leben. Mein Leben.« Sie küßte mich. »Unser Leben.«
So wie wir dalagen, so eng, erwärmt durch die Hitze des anderen, so tief miteinander verbunden, war die Vorstellung nicht schwer, daß in diesem Moment in ihrem Bauch ein Leben entstand. Alles Heilige und Geheimnisvolle am Körper einer Frau im allgemeinen und an Angies Körper im besonderen schien in diesem Kokon von Decken eingefangen zu sein, auf dieser weichen Matratze in diesem quietschenden Bett. Alles schien so klar zu sein.
Aber die Welt war nicht wie dieses Bett. Die Welt war kalt wie Zement und scharf wie ein Messer. Die Welt war voller Monster, die auch einmal Babys gewesen waren und als Zweizeiler im Mutterleib begonnen hatten. Auch sie waren aus einer Frau hervorgegangen. Das einzige Wunder, das im 20. Jahrhundert noch übriggeblieben war. Doch waren sie im Zorn oder Wahnsinn auf die Welt gekommen oder dazu bestimmt, so zu werden. Wie viele Liebende hatten in so einem Kokon gelegen, in so einem Bett, und das gespürt, was wir nun fühlten? Wie viele Monster hatten sie geschaffen? Und wie viele Opfer?
»Sag etwas!« forderte Angie mich auf und strich mir das feuchte Haar aus der Stirn.
»Ich hab’ darüber nachgedacht«, sagte ich.
»Und?«
»Es versetzt mich in Staunen.«
»Mich auch.«
»Es macht mir Angst.«
»Mir auch.«
»Eine Menge Angst.«
Sie kniff die Augen zusammen. »Wieso?«
»Kleine Kinder in Zementfässern, Amanda McCready verschwindet, als hätte es sie nie gegeben, Kinderschänder durchforsten die Straßen mit Isolierband und Nylonschnüren in den Taschen. Diese Welt ist ein Saustall, Schatz.«
Sie nickte. »Und?«
»Und was?«
»Ja, sie ist ein Saustall. In Ordnung. Und weiter? Ich meine, unsere Eltern wußten wahrscheinlich auch, daß sie ein Saustall ist, aber sie haben uns trotzdem bekommen.«
»Wir hatten auch wirklich eine tolle Kindheit.«
»Wäre es dir lieber, nie geboren worden zu sein?«
Ich legte beide Hände auf ihren Po, und sie drückte sich dagegen. Sie löste sich von mir, und die Decke rutschte ihr vom Rücken. Sie setzte sich auf meinen Schoß und sah auf mich hinunter. Das Haar fiel ihr über die Schulter, und sie saß nackt vor mir. Das Schönste und Perfekteste, was ich je gesehen habe.
»Ob es mir lieber wäre, nie geboren worden zu sein?«
»Das ist die Frage«, flüsterte sie sanft.
» Natürlich nicht«, erwiderte ich. »Aber was würde Amanda McCready sagen?«
»Unser Kind wäre nicht Amanda McCready.«
»Woher sollen wir das wissen?«
»Weil wir keine Rauschgiftdealer bestehlen würden, die anschließend das Kind entführen, um ihr Geld zurückzubekommen.«
»Täglich verschwinden
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