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Kein Kinderspiel

Kein Kinderspiel

Titel: Kein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Kinder aus viel nichtigeren Gründen, und das weißt du. Kinder verschwinden, weil sie einfach nur zur Schule gehen, zur falschen Zeit um die falsche Ecke biegen, beim Einkaufen ihre Eltern verlieren. Und dann sterben sie, Ange. Sie sterben.«
    Eine Träne fiel ihr auf die Brust, rollte über ihre Brustwarze und fiel auf meine Brust. Als ich sie spürte, war sie bereits kalt.
    »Das weiß ich«, sagte sie. »Aber wie dem auch sei, ich möchte ein Kind von dir. Nicht heute, vielleicht noch nicht nächstes Jahr. Aber ich will eins. Ich möchte mit meinem Körper etwas Schönes erschaffen, das aus uns hervorgeht und doch ganz anders ist als wir.«
    »Du willst ein Kind.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich will dein Kind.«
    Irgendwann dösten wir ein.
    Ich wenigstens. Dann wachte ich auf und merkte, daß sie aufgestanden war. Ich stand auf und tappte durch die dunkle Wohnung in die Küche, wo sie am Tisch neben dem Fenster saß. Ihre nackte Haut schien blaß im gebrochenen Mondlicht, das durch die Spalten des Rollos fiel.
    Neben ihr auf dem Tisch lag ein Notizblock, vor ihr lag die Akte des Falles, und sie blickte auf, als ich in der Tür stand, und sagte zu mir: »Sie können Amanda nicht weiterleben lassen.«
    »Cheese und Mullen?«
    Sie nickte. »Das wäre taktisch unklug. Sie müssen die Kleine umbringen.«
    »Bisher haben sie sie leben lassen.«
    »Woher sollen wir das wissen? Und selbst wenn, dann vielleicht nur so lange, bis sie das Geld haben. Nur um sicherzugehen. Aber dann müssen sie sie umbringen. Sie weiß zu viel.«
    Ich nickte.
    »Du hast dich schon damit auseinandergesetzt«, bemerkte sie.
    »Ja.«
    »Und morgen?«
    »Finden wir wahrscheinlich eine Leiche.«
    Sie zündete sich eine Zigarette an. Kurz wurde ihr Körper vom Licht des Feuerzeugs erhellt. »Kannst du damit leben?«
    »Nein.« Ich stellte mich zu ihr an den Tisch, legte ihr die Hand auf die Schulter, mir unserer Nacktheit in der Küche wohl bewußt, und bemerkte, daß ich immer wieder über die Macht nachdachte, über die wir in unserem Bett und in unseren Körpern verfügten. Dieses potentielle dritte Leben, das wie ein Geist über uns schwebte.
    »Bubba?« fragte sie.
    »Wahrscheinlich schon.«
    »Poole und Broussard wird das nicht gefallen.«
    »Deswegen werden wir ihnen auch nichts davon erzählen.«
    »Sollte Amanda noch leben, wenn wir im Steinbruch ankommen, und wir können sie finden, wenigstens ihren Aufenthaltsort ausmachen …«
    »Dann wird Bubba den erledigen, der sie festhält. Wird ihn wie ein Stück Scheiße erledigen und noch in der Nacht verschwinden.«
    Sie lächelte. »Willst du ihn anrufen?«
    Ich schob das Telefon über den Tisch: »Bitte sehr.«
    Sie schlug beim Wählen die Beine übereinander und beugte den Kopf vor. »Hey, großer Junge«, sagte sie, als er sich meldete, »kommst du morgen abend mit uns spielen?«
    Sie hörte kurz zu und grinste dann breiter.
    »Wenn du ganz viel Glück hast, Bubba, ja, dann darfst du jemanden erschießen.«

17
    Major John Dempsey von der Massachusetts State Police hatte ein breites irisches Gesicht, das so platt wie ein Pfannkuchen war, und die müden Glupschaugen einer Eule. Er blinzelte sogar wie eine Eule: mit einem plötzlichen Zucken der Augenmuskeln fielen die dicken Lider über die Pupillen, wo sie eine Zehntelsekunde länger verharrten als normal. Dann wurden sie wie Fensterläden wieder hochgezogen und verschwanden unter den Brauen.
    Wie bei den meisten Beamten der State Police, die ich kannte, war sein Rückgrat offenbar aus einer Eisenstange geschmiedet. Die Lippen waren farblos und zu dünn - in seinem flachen, bleichen Gesicht wirkten sie wie mit einem weichen Bleistift gezeichnet. Seine Hände waren von einem zarten Weiß, die Finger lang und feminin, die Nägel so glatt gefeilt wie der Rand einer Silbermünze. Doch stellten die Hände das einzig Weiche an ihm dar. Der Rest des Körpers schien aus Schiefer gehauen. Er hatte einen sehnigen Körperbau und verfügte über kein Gramm Fett, so daß ich dachte, wenn er vom Podium fiele, würde er in viele Teile zersplittern.
    Die Uniform der Massachusetts State Police hat mich schon immer beunruhigt, besonders die der oberen Dienstgrade. All dieses glattpolierte schwarze Leder, die auffälligen Epauletten, das glänzende Silber und das Offizierskoppel mit dem Schulterriemen, der sich von der rechten Schulter zur linken Hüfte zog, hatten etwas aggressiv Teutonisches an sich. Genau wie der um sechs Millimeter längere

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