Kein Kuss unter dieser Nummer: Roman (German Edition)
das hätte mein Urteilsvermögen nicht trüben dürfen. Das war nicht richtig von mir.« Ihr Blick schweift über die Straße zu Sam. »Er ist derjenige welcher?«
Ich nicke, und ihre Miene wird weich wie ein samtenes Rosenblatt, das zu Boden taumelt.
»Dann mach nur. Geh.«
Und ohne noch eine Sekunde zu warten, schreite ich die Stufen hinab, überquere die Straße, weiche Autos aus, ignoriere das Hupen, reiße mir den Schleier ab, bis ich direkt vor Sam stehe. Einen Moment lang stehen wir nur da, sehen uns an, atmen schwer.
»Du hast einige Nachrichten verschickt«, sage ich schließlich.
»Ein paar.« Sam nickt.
»Interessant.« Ich nicke zurück. »Hat Lucinda geholfen?«
»Wie sich herausstellte, war sie ziemlich scharf darauf, die Hochzeit zu verhindern.« Sam scheint sich zu amüsieren.
»Aber ich verstehe nicht. Wie hast du sie überhaupt gefunden?«
»Sie hat eine ganz hübsche Website.« Sam lächelt schief. »Ich habe sie auf ihrem Handy angerufen, und sie war nur allzu gern bereit, mir zu helfen. Sie hat die Nachrichten sogar für mich versendet. Wusstest du denn nicht, dass sie so eine hypermoderne Funktion hat, mit der sie automatisch alle Gäste kontaktieren kann?«
Lucindas SMS -Alarmsystem. Schließlich wurde es nun doch noch wichtig.
Ich nehme meinen Blumenstrauß in die andere Hand. Mir war nie klar, wie schwer Blumen sind.
»Für Starbucks bist du ein bisschen overdressed.« Sam mustert mich von oben bis unten.
»Zum Kaffeetrinken trage ich immer ein Hochzeitskleid. Ich finde, es macht sich ganz gut. Du nicht?«
Ich drehe mich zur Kirche um und muss lachen. Die ganze Hochzeitsgesellschaft scheint sich davor versammelt zu haben und sieht uns zu.
»Worauf warten die?« Sam folgt meinem Blick, und ich zucke mit den Schultern.
»Wer weiß? Du könntest ein kleines Tänzchen hinlegen. Oder einen Witz erzählen. Oder … die Braut küssen?«
»Nicht die Braut.« Er legt seine Arme um mich und drückt mich fest an sich. Fast berühren sich unsere Nasenspitzen. Ich kann ihm direkt in die Augen sehen. Ich kann seine warme Haut spüren. »Dich.«
»Mich.«
»Das Mädchen, das mein Handy geklaut hat.« Seine Lippen streichen an meinem Mundwinkel entlang. »Die Diebin.«
»Es lag im Müll.«
»Ist trotzdem Diebstahl.«
»Nein, ist es nicht …«, setze ich an, doch inzwischen drückt er seinen Mund auf meinen, und ich kann überhaupt nichts mehr sagen.
Und plötzlich ist das Leben schön.
Ich weiß, dass nach wie vor vieles unsicher ist. Ich weiß, dass die Realität immer noch da ist. Es wird Erklärungen und Beschuldigungen und schmutzige Wäsche geben. Im Moment jedoch schmiege ich mich an einen Mann, von dem ich glaube, dass ich ihn möglicherweise liebe. Und ich habe den Mann nicht geheiratet, von dem ich sicher weiß, dass ich ihn nicht liebe. Und aus meiner Perspektive ist das so weit schon mal ganz gut.
Schließlich machen wir uns voneinander los, und ich höre Annalise auf der anderen Straßenseite vor Freude juchzen. Was ziemlich geschmacklos von ihr ist, aber so ist Annalise nun mal.
»Übrigens habe ich dir was zum Lesen mitgebracht«, sagt Sam. »Für den Fall, dass dir langweilig wird.«
Er langt in seine Jacke und holt ein Bündel bedruckter Seiten hervor, die voller Kaffeeflecken sind. Und als ich sie sehe, wird mir ganz beklommen zumute. Er hat sie aufbewahrt. Obwohl wir so im Zorn auseinandergegangen sind. Er hat unsere Kurznachrichten aufbewahrt.
»Lesenswert?«, bringe ich ungerührt hervor.
»Nicht übel.« Er blättert darin herum, dann hebt er den Kopf. »Ich freu mich schon auf die Fortsetzung.«
»Wirklich?« Wenn ich sehe, wie er mich ansieht, wird mir am ganzen Körper kribbelig. »Und weißt du, was als Nächstes passiert?«
»Oh … ich habe da so eine Ahnung.« Er streicht mit seinen Fingern an meinem nackten Rücken hinab, und augenblicklich brennt in mir die Lust. Ich bin absolut bereit für meine Hochzeitsnacht. 109 Ich brauche weder Champagner noch Schnittchen oder dreigängige Menüs oder den ersten Tanz. Nicht mal den letzten Tanz.
Aber andererseits stehen da immerhin zweihundert Leute auf der anderen Straßenseite und starren mich an, als warteten sie auf Anweisung. Manche davon sind meilenweit angereist. Die kann ich doch nicht einfach sitzen lassen.
»Also … da ist diese Party«, sage ich zögernd zu Sam. »Da kommen alle meine Freunde hin und meine Familie, alle auf einmal, ein ziemlich einschüchternder Haufen, dazu Freunde und Familie
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