Kein Kuss unter dieser Nummer: Roman (German Edition)
ihren Kindles lesen. Ich weiß ehrlich nicht, wer von beiden mir mehr Angst macht.
Er. Er ist so sarkastisch.
Nein, sie. Mit ihren krausen Haaren. Und dauernd fragt sie einen, wie man über den Feminismus denkt.
Okay, sie sind beide ziemlich furchteinflößend. Und sie landen in etwa einer Stunde, und natürlich werden sie den Ring sehen wollen.
Nicht hyperventilieren, Poppy! Bleib positiv! Ich muss das Ganze nur aus einer anderen Perspektive betrachten. Zum Beispiel … was würde Poirot tun? Poirot würde nicht panisch mit den Armen rudern. Er würde die Ruhe bewahren und seine kleinen grauen Zellen benutzen, um sich an ein winziges Detail zu erinnern, das dann den entscheidenden Hinweis gibt.
Ich kneife die Augen zu. Kommt schon, kleine graue Zellen! Strengt euch mal ein bisschen an!
Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob Poirot drei Gläser rosa Champagner und einen Mojito intus hatte, als er den Mord im Orient-Express löste.
»Miss?« Eine grauhaarige Putzfrau versucht, mich mit einem Staubsauger zu umschiffen. Erschrocken stöhne ich auf. Sie saugen schon den Ballsaal? Was ist, wenn sie den Ring mit aufsaugen?
»Entschuldigen Sie …« Ich tippe an ihre blaue Kittelschulter. »Könnten Sie mir nicht noch fünf Minuten Zeit geben, bevor Sie den Staubsauger anwerfen?«
»Suchen Sie immer noch Ihren Ring?« Skeptisch schüttelt sie den Kopf, dann lächelt sie. »Bestimmt finden Sie ihn zu Hause wieder. Wahrscheinlich liegt er schon die ganze Zeit da.«
»Vielleicht.« Ich zwinge mich, höflich zu nicken, obwohl ich viel lieber schreien würde: »So blöd bin ich nicht!«
Auf der anderen Seite des Ballsaals sehe ich eine weitere Putzfrau, die Krümel und zerknüllte Servietten in einen schwarzen Müllbeutel schüttelt. Sie passt überhaupt nicht auf. Hat sie mir denn nicht zugehört?
»Verzeihung!«, kreischt meine Stimme, als ich zu ihr hinübersprinte. »Sie suchen doch hoffentlich immer noch nach meinem Ring, oder?«
»Bis jetzt ist er nicht aufgetaucht.« Ohne die Reste eines Blickes zu würdigen, wischt die Frau sie vom Tisch, direkt in den Müllbeutel.
»Moment!« Ich greife nach den Servietten und hole sie wieder heraus, taste jede einzelne nach einem harten Klumpen ab, auch wenn ich mir dabei die Hände mit Buttercreme vollschmiere.
»Junge Frau, ich versuche hier aufzuräumen.« Sie reißt mir die Servietten aus der Hand. »Sehen Sie mal, was Sie hier für eine Sauerei veranstalten!«
»Ich weiß, ich weiß. Tut mir leid.« Ich sammle die Cupcake-Papierförmchen auf, die mir heruntergefallen sind. »Aber Sie verstehen nicht. Wenn ich diesen Ring nicht wiederfinde, kann ich mir gleich die Kugel geben.«
Am liebsten würde ich mir die Mülltüte schnappen und den Inhalt per Pinzette einer forensischen Prüfung unterziehen. Am liebsten würde ich den ganzen Raum mit einem Plastikband einzäunen und zum Tatort erklären. Er muss hier sein, er muss es einfach!
Es sei denn, jemand hätte ihn an sich genommen. Das ist die einzige Möglichkeit, an die ich mich noch klammern kann. Eine meiner Freundinnen trägt ihn, ohne es zu merken. Vielleicht ist er in eine Handtasche gerutscht … vielleicht ist er in eine Jackentasche gefallen … er hängt an einem Pulloverfaden fest … Die diversen Möglichkeiten, die mir einfallen, werden immer unwahrscheinlicher, aber ich darf die Hoffnung nicht aufgeben.
»Haben Sie es schon in der Damentoilette probiert?« Die Frau schwenkt aus, um an mir vorbeizukommen.
Selbstverständlich habe ich es in der Toilette probiert. Auf allen vieren habe ich jede einzelne Kabine abgesucht. Und dann sämtliche Waschbecken. Zweimal. Danach habe ich versucht, den Mann am Empfang zu überreden, dass er die Toiletten verriegelt und die Abflussrohre untersuchen lässt, aber er hat sich geweigert. Er meinte, es wäre etwas anderes, wenn ich genau wüsste, dass ich ihn dort verloren habe, und war überzeugt davon, dass sicher auch die Polizei seiner Meinung wäre, und ob ich wohl so nett sein könnte beiseitezutreten, weil hinter mir noch andere Leute warteten.
Polizei. Pah. Ich hatte gedacht, sobald ich anrief, kämen die mit ihren Streifenwagen angeheult, aber die haben mir am Telefon nur mitgeteilt, dass ich aufs Revier kommen und Anzeige erstatten soll. Ich habe keine Zeit für den ganzen Papierkram! Ich muss meinen Ring finden!
Eilig gehe ich noch einmal zu dem runden Tisch, an dem wir heute Nachmittag gesessen haben, und krieche darunter, taste zum wiederholten Mal den
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