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Kein Ort - Nirgends

Kein Ort - Nirgends

Titel: Kein Ort - Nirgends Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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Beutel.
    Undurchschaubarer Vorgang. Der richtige Moment, daß die Flügeltür sich öffnet und ein Bedienter Wein bringt. Es sei aber doch nur von Tee die Rede gewesen! Merten läßt keinen Einwand gelten. Wein gehöre zur Gegend, da könne man von Bewirtung nicht reden. Übrigens sei er vom eignen Weingut, er bürge für die Qualität. Der Mann trinkt gerne, man sieht es.
    Kleist hat es beobachtet: Savigny ist über das Dolchspiel verstimmt; er glaubt sich auch nicht zu täuschen, daß die Günderrode Savigny beiseite nehmen, allein mit ihm sprechen will; doch der übersieht ihre Geste, wendet sich, willkommener Vorwand, an Kleist: Sie kommen, hör ich, aus Paris?
    Glänzend, Savigny. Das kannst du, mein Freund: hinhalten. Daß das Licht sich trübt und ich steh im Finstern, allein.
    Die Günderrode haßt es, von so vielem abzuhängen, dem sie gar keinen Einfluß zugestehen will, und mehr als alles andre haßt sie es, darauf ertappt zu werden. Beschämung. Das Günderrödchen sei sehr gut, aber gar schwach, hat man Savigny gesagt, er ließ es sie wissen. Jetzt erzählt er dem Kleist weitläufig von seinem Plan, studienhalber nach Paris zu gehn. Kleist scheint reserviert zu bleiben. Paris? Nun ja, für einen veritablen Wissenschaftler . . . Ach, Savigny wieder: Er, als Literat, sei nicht auf seine Kosten gekommen?
    Gerede. Wenn alle Münder mit einem Schlag verstummten und die Gedanken laut würden. Einer der zügellosen Wünsche, die Savigny ihr verweisen würde. Attitüde, kann er sagen, auf eine gewisse Art . . . Das berühmte Helldunkel, Günderrödchen, ich meine, daß es gar nicht zu Ihrem eigentlich eigentlichen Wesen gehört,wenn schon viele Menschen nichts anderes von Ihnen wissen als dies.
    Wie ich ihn kenne. Nicht zu weich sein und zu wehmütig und zu sehnsüchtig – klar werden und fest und doch voll Freude am Leben. Ach Savigny. Was heißt denn das. Es heißt, das Günderrödchen soll dich nicht weiter behelligen. Es soll nicht nur begreifen, was ihm zugeteilt ist: zurückstehn; soll auch darüber schweigen; es soll, das wär natürlich das allerartigste, allerbequemste, darüber heiter sein, das garstige Günderrödchen, euer liebes Hämmelchen. Es soll keinem Menschen ein schlechtes Gewissen machen. – Er hat ja recht.
    Recht hat er auch gegen den Kleist, ich seh es an seinem Gesicht, das überlegen bleibt, während der andre dumm genug ist, sich zu ereifern. Aber er stottert ja, oder wie man das nennen soll; eine Sprachhemmung, die den Fluß der Sätze unterbricht, ihn stocken läßt, vielleicht nur, wenn er sich aufregt, wie eben jetzt. Ja, hör ich denn recht! Streiten sie über Rousseau? Rousseau, ruft der Preuße aus, sei das vierte Wort der Franzosen. Und wie würde er sich schämen, käme er jetzt nach Paris und man sagte ihm, dies sei sein Werk.
    Den jungen Mann müßte sie warnen. In diesem Text ist Savigny einem jeden über. Sie weiß vorher, in welchem Ton er antworten wird: maßlos erstaunt. Wie! fragt er – ja: in eben diesem Ton –, Sie hätten die Spuren von Rousseaus Ideen im Frankreich von heute gesucht! Darauf wieder Kleist, kühl jetzt, unnahbar bis zur Komik: Allerdings. Wozu Ideen in die Welt gesetzt würden, wenn nicht zum Zwecke ihrer Verwirklichung.
    Die Günderrode sieht die Gedanken in Savignys gut gebautemKopf: Ach so einer ist das. Von der schwärmerischen Sorte. Sie weiß ja, wie erfolglos sie selbst sich oft gegen seinen Tadel gewehrt hat, und mehr noch gegen seine Milde; wie der Wunsch sie gebrannt hat, ihn leiden zu sehn; wie sie gelitten hat, als sie sich eingestand, daß der Grad der Anteilnahme, die er ihr abnötigte, nicht mehr in ihrem Willen lag; als sie sich durch die zunehmende Stärke ihres Gefühls belehrt sah, daß es nicht Teilnahme war, was sie empfand, sondern Leidenschaft. Und als ihre Verletzbarkeit und ihre Erziehung und ihre ganzen Lebensumstände ihr geboten, ihm zu verhehlen, wie es um sie stand. Was ihr gut, vielleicht zu gut gelang, sie beherrscht die Kunst der Verstellung; einmal hat er es ihr vorgehalten – indirekt, wie diese Hauptsache immer zwischen ihnen zur Sprache kam: Man spreche viel von den Leiden des jungen Werther, aber andere Leute hätten auch ihre Leiden gehabt, sie seien nur nicht gedruckt worden. – Hundertmal, tausendmal hat sie diesen Satz gelesen, nie nutzt er sich ab, und sie zieht Linderung aus ihm für all die Demütigungen, die sie sich, mit seiner Hilfe, selbst zugefügt hat. Recht, so recht innig hat mich Ihr Brief

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