Kein Schatten ohne Licht
begann zu knistern. Da war etwas, das mit Gregor geschah, unsichtbar und doch nicht zu übersehen. Melica brauchte einige Wimpernschläge, um zu verstehen, was es war, doch als sie es tat, bekam sie es mit der Angst zu tun.
Es war Macht. Gregor Macht wuchs, unaufhaltsam und strich mit nasskalten Fingern über Melicas Haut. Unangenehm. Ekelerregend. Das Oberhaupt der Schattenkrieger war nicht wiederzuerkennen.
Beklommen beobachtete sie den Mann, wartete ungeduldig auf seine nächste Regung. Diese fiel enttäuschend aus, denn er streckte seine Hand vor und drückte ruhig auf einen kleinen Knopf, der in seinem Schreibtisch eingelassen war. „Erik? Ich bitte dich, in meinem Büro zu erscheinen.“ Seine Stimme wurde auf beinahe gespenstische Weise durch die stickige Luft getragen.
Melica wusste nicht, was sie erwartet hatte, doch eine Sprechanlage war es nicht gewesen. Verwirrt blickte sie ihn an. „Wer ist Erik?“
„ Niemand Wichtiges.“ Gregor nutzte zur Untermalung seiner Antwort ein leichtes Lächeln.
Eine Welle der Angst schwappte über Melica hinweg. Ihr Körper begann zu zittern. Irgendetwas lief hier falsch! Luzius war der Böse. Die Schattenkrieger waren die Guten. So hatte Tizian es ihr erklärt und so war es logisch. Warum empfand sie in diesem Moment trotzdem blanke Panik? „Was wird hier gespielt, Gregor?“
„ Ich spiele nicht. Ganz im Gegenteil. Mit ihrem Handeln haben Diana und Luzius mir den rechten Weg gewiesen. Ich habe mein Ziel noch nie so ernst genommen wie in diesem Augenblick.“
„ Das mag ja sein, aber irgendwie habe ich das Ziel noch nicht so richtig verstanden!“ Das hoffte sie zumindest.
„ Mein Ziel, meine Liebe?“, wiederholte Gregor und blickte sie mit einem feierlichen Ausdruck im Gesicht an. „Mein Ziel ist es, die Dämonen endlich an ihren rechten Platz zu führen. An ihren Platz an der Spitze der Nahrungskette!“
Melica schüttelte ungläubig den Kopf. „Das ist nicht dein ernst, oder?“, fragte sie, hoffte sie, betete sie. „Ehrlich, Gregor, ich bin gerade erst aus den Fängen eines Verrückten entkommen. Noch einmal steh ich das nicht durch.“
Gregors Lächeln erstarb auf seinen Lippen. „Du bist eine der Auserwählten, Melica. Als solche ist es deine Pflicht, deine Entscheidungen mit Bedacht zu treffen.“
„ Eine Auserwählte?“ Melica schnaubte. „Die Art und Weise, wie wir Luzius besiegt haben, zeigt doch, dass diese ganze Prophezeiung großer Schwachsinn war.“ Zugegeben, es interessierte sie nicht im Geringsten, ob die Prophezeiung wahr geworden war oder nicht. Doch der Themenwechsel würde ihr etwas Zeit verschaffen. Vielleicht sogar genug, um einen Weg zu finden, Gregor von dem Wahnsinn in seinen Worten zu überzeugen.
„ Doch gerade euer Sieg über Luzius zeigt, wie intelligent es war, mein Vertrauen in diese Prophezeiung zu legen! Stefan, Zane und du – es ist allein euer Verdienst, dass sich Luzius das Leben genommen hat! Ihr drei habt euch in dem Zimmer befunden, als es geschehen ist.“
„ Stefans Rolle hätte auch jeder andere spielen können“, antwortete Melica.
Gregor ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Dann, plötzlich, huschte ein Ausdruck der Wut über seine Züge. „Ich muss dir meinen Respekt aussprechen. Fast wäre dein Versuch, meine Aufmerksamkeit auf ein unbedeutendes Thema zu lenken, von Erfolg gekrönt gewesen. Ich bin intelligent, Melica. Ich stehe zu meinen Überzeugungen. Doch weil ich dich respektiere und wir Luzius nur durch deine Hilfe besiegen konnten, gebe ich dir Zeit. 24 Stunden, die du dazu nutzen kannst, dich zu entscheiden, auf welche Seite du gehören willst. Die Gemeinschaft unserer Schattenkrieger befindet sich im Umbruch, mein Kind. Noch sind nur Wenige in meinen Plan eingeweiht. Doch morgen Abend werde ich ihn öffentlich bekanntmachen. Ich bin nicht dumm, meine Liebe. Ich weiß, dass nicht jeder meine Meinung teilen wird. Es wird Streit geben und mit großer Wahrscheinlichkeit auch Tote. Doch diese Opfer bin ich bereit, zu bringen. Eine Revolution ohne Tränen ist schließlich keine Revolution.“
So wie es aussah, war Melica dem einen Alptraum nur entkommen, um sich ohne zu zögern in den nächsten zu stürzen. So langsam verlor sie wirklich die Lust daran, das Gute zu tun. Sie seufzte schwer. „Ich brauche keine 24 Stunden, Gregor.“
Ein Geräusch ließ Melica den Kopf herumreißen. Die geöffnete Tür legte den Blick auf einen rothaarigen Mann frei, der nur mit zögerlichen Schritten das
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