Kein Tod wie der andere
da hatte er sie noch beruhigen können, indem er offen eingestand, dass er schon daran dachte, Alexanders Arbeit aufzunehmen und zu Ende zu führen, quasi als sein Erbe. Doch Bonitzer bestritt, dass Altmüller irgendwelche Unterlagen bei ihr gelassen hatte oder sie etwas von seinen Recherchen wusste.
Und dann war ihm der verhängnisvolle Fehler unterlaufen. Er hatte gefragt, ob Alexanders Frau vor ihrem Tod vielleicht etwas erzählt, ihr etwas über Recherchen in Luxemburg mitgeteilt hatte. Sie hatte ihn mit dem gleichen Blick angeschaut wie damals Suzanne Altmüller, mit der gleichen aufkommenden Erkenntnis hatte sie ihn mit offenem Mund angestarrt. Er hatte versucht abzuwiegeln, abzulenken, aber es war zu spät gewesen. Sie glaubte ihm nicht mehr, fragte, woher er überhaupt ihren Namen hatte, wartete gar nicht mehr seine Antwort ab und wollte flüchten. Er hatte es gespürt, die Panik gespürt, die wieder in ihm aufstieg, die Angst, alles zu verlieren, dieses Beben, das immer stärker wurde – genau wie die Angst in den Augen der Frau.
Später war er durch den Wald gegangen, ohne zu wissen, wohin, bis er plötzlich doch wieder vor seinem Auto gestanden hatte. Er brauchte noch Abstand, konnte nicht sofort nach Hause. Eigentlich hatte er Kristin versprochen, nachmittags mit ihr Kaffee trinken zu fahren. Er konnte ihr jetzt nicht gegenübertreten, war noch nicht wieder bereit für seine Rolle als Ehemann.
Er fuhr auf der Landstraße entlang der französischen Grenze bis nach Bettemburg, weiter über Pontpierre, Bettange-sur-Mess nach Steinfort. Hier stand er direkt vor der französischen Grenze und überlegte, ob er einfach immer weiterfahren sollte. Doch die einstündige Fahrt hatte ihn wieder ruhiger werden lassen, hatte seine Gedanken geordnet und ihm neue Zuversicht gegeben. Noch war nichts verloren, noch hatten sie nichts gegen ihn in der Hand.
Er hatte sich ein neues Problem, wieder ein unnötiges Problem geschaffen. Aber noch wusste keiner davon, und wenn es darauf ankam, wenn es sein musste, dann … Er wollte diesen Gedanken nicht zu Ende führen. Stattdessen zwang er sich, sich zusammenzureißen, wendete seinen Wagen und fuhr auf direktem Weg nach Bertrange.
45
Merteskaul; Sonntag, 19. Juni
Buhle war nach dem langen Mittagsessen bei Paul und Sabine Gerhardts in dieser für ihn so ungewohnt familiären Atmosphäre nicht wieder nach Hause gefahren. Erst zum Schluss hatten sie sich über den Fall und Buhles neuen Ermittlungsansatz unterhalten, vielleicht hallten die Gedanken deshalb noch in ihm nach. Sie hatten vereinbart, dass er am besten noch nachmittags mit Ducard telefonieren würde und sie die Möglichkeit, dass Altmüller erpresst worden war, am Montagmorgen in der Soko durchspielen sollten. Am liebsten wäre er direkt zu Reno, Dardenne oder dem Institut gefahren. Doch so gut und unkompliziert die grenzübergreifende Zusammenarbeit mit der luxemburgischen Polizei, insbesondere der Kriminalpolizei, auch war, er konnte jetzt unmöglich allein im Großherzogtum ermitteln.
Als er gedankenverloren die Kaiser-Wihelm-Brücke über die Mosel nahm, spürte er, wohin es ihn trieb. Ohne weiter darüber nachzudenken, wie sinnvoll es war, fuhr er vom Moseltal hinauf in die Eifel nach Merteskaul. Diese kleine Ansammlung ehemals landwirtschaftlicher Gehöfte mutete fast einsam an. Die einzigen Lebewesen, die Buhle wahrnahm, waren die drei Pferde von Silvia Lenz, die langsam über die Weide neben der Zufahrtsstraße schritten.
Buhle fuhr vor die alte Scheune gegenüber dem Wohnhaus. Die Kollegen hatten die fenster- und torlosen Öffnungen mit Brettern verbarrikadiert und eine Behelfstür in den einen Eingangsbereich montiert. Buhle kontrollierte auch am Wohnhaus die Polizeisiegel. Sie waren alle unbeschädigt.
Es war nicht so heiß wie bei seinem letzten Besuch. Obwohl dichte Bewölkung am Himmel hing, empfand er jetzt viel stärker die ländliche Idylle, die von diesem Ort ausging. Leider eine trügerische Idylle. Er musste an den Fluch von Merteskaul denken. Gab es tatsächlich Orte, die das Unheil anzogen? Er ging langsam zwischen den Häusern hindurch, doch keiner der Bewohner zeigte sich. Wahrscheinlich hatten sie genug von den Ereignissen der letzten Wochen. Menschen, die hier wohnten, hatten sich erkennbar für ein zurückgezogenes Leben entschieden.
Er setzte sich auf eine Bank mit Blick auf das fast vollständig bewaldete Tal. Es war absolut ruhig. Nur ganz leise drang ein mildes Rauschen
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