Kein Tod wie der andere
was er meinte? Würde er ihr das abnehmen? Hannah betrachtete ihr Gegenüber. Er würde ihr nicht mehr glauben. Wahrscheinlich hatte er sie ohnehin nur zu sich eingeladen, um herauszufinden, was sie wusste und woher. Nein, ihre Strategie musste eine andere sein. Sie versuchte ein möglichst souveränes Lächeln und legte all ihr noch vorhandenes Selbstvertrauen in ihre Antwort.
»Herr Thill, schön, dass Sie meine journalistische Arbeit schätzen. Das hätten Sie übrigens auch äußern können, ohne die Türen verschlossen zu halten. Sie wissen ja, wie wir Journalisten es mit unseren Informationen und vor allem mit denen, die Sie uns geben, halten. Da sind wir schon irgendwie besonders, nicht wahr?«
»Ja, aber vielleicht sollten Sie da diesmal eine kleine Ausnahme machen. Sehen Sie, bei dem Geschäft, dass ich vorhabe, geht es um viel Geld, sehr viel Geld sogar. Sie werden verstehen, dass meine Investoren ähnlich diskret behandelt werden wollen wie Ihre Informanten. Das scheint aber gegenwärtig irgendwie ins Ungleichgewicht geraten zu sein. Und das ist gefährlich. Es geht hier um Hunderte Millionen Euro, Frau Sobothy, das ist zu viel Geld, als dass ich es riskieren könnte, unhaltbaren Verdächtigungen freien Lauf zu gewähren.«
»Welche unhaltbaren Verdächtigungen meinen Sie?«
»Es sind Details der Projektfinanzierung, die Sie haben durchblicken lassen, die Sie aber gar nicht kennen können.«
»Ich habe da vielleicht etwas zu forsch Vermutungen geäußert.«
Thill schaute sie an und grinste. »Frau Sobothy, bitte. Sie wissen genau, was ich meine, und ich will es von Ihnen hören. Bitte verschonen Sie mich mit diesen Ablenkungsspielchen. Wie standen Sie zu Altmüller?«
Hannah Sobothy spürte, dass sie in dem Moment, als der Name fiel, ihre Gesichtszüge nicht im Griff gehabt hatte. Dies war auch Thill nicht entgangen. Sein Grinsen war noch breiter geworden. So viel wusste er also schon. Es ging ihm wohl nur noch darum, zu erfahren, wie viele Informationen sie hatte, und wahrscheinlich auch, wo die hinterlegt waren. Sie hatte bewusst darauf verzichtet, ihr Notebook mitzunehmen. War nur mit Block und dem kleinen Aufnahmegerät in ihrer Umhängetasche ausgestattet. Alles lag zu Hause. Sie hatte versucht, von Alexander zu lernen, und eine Kopie gemacht, die sie im kleinen Gartenhäuschen versteckt hatte. Nur: Davon wusste keiner, und sie hatte auch keine Spuren dorthin gelegt. Sie musste erst einmal Zeit gewinnen, Zeit, um einen Weg heraus aus diesem Dilemma zu finden. Sie hatte noch in der Nacht davon geträumt, dass sie während des Treffens mit Thill flüchten würde, hatte es aber als einen »Scheißtraum« abgetan. Doch ihr Fluchtweg war nun versperrt.
»Alexander Altmüller und ich waren Kollegen. Wieso fragen Sie nach ihm?«
Thill zog seinen Mund nun so weit zusammen, dass er fast einen Kussmund bildete. Er schien seinerseits darüber nachzudenken, wie er das Gespräch führen wollte. Seine Gesichtzüge hatten jegliche Freundlichkeit verloren. Er schaute sie nicht nur ernst, eher schonungslos direkt an. Als er sprach, hatte sich auch seine Stimme verändert, war nun dunkler, rauer geworden. Hannah Sobothy fuhr ein Schauer durch den Körper, der sich daraufhin noch mehr anspannte.
»Altmüller war an mir dran. Er hatte sich da etwas in den Kopf gesetzt. Leider hat er tatsächlich Dinge herausgefunden, die er lieber nicht …« Thill unterbrach sich, sicher, weil er ihr selbst die Gelegenheit geben wollte, seinen Satz zu Ende zu denken. »Nun, ich hatte gehofft, er hätte sein Wissen mit ins Grab genommen, aber nun kommen Sie, stellen mir nach und wissen mehr, als Sie dürften. Wo haben Sie die Unterlagen von Altmüller, sind die in Ihrem Haus? Wo …«
Sie wusste auch später nicht mehr, was für sie der Auslöser gewesen war. Ob es das Wort »Grab« gewesen war, der Gedanke an Steff, die nichtsahnend in ihrer Wohnung großer Gefahr ausgesetzt war, einfach nur ein Kurzschluss, ein Riss in ihrem Nervenkostüm oder die kurzzeitige Übermacht des Unterbewusstseins, das sich bereits im Traum angekündigt hatte. Sie wusste nur, dass sie in diesem Moment nicht wusste, was sie tat.
Mit einem Ruck und einer Kraft, die sie sich nie zugetraut hätte, sprang sie auf und schleuderte gleichzeitig den kleinen Glastisch mit Flasche und Gläsern auf Thill. Dann rannte sie los, hinaus durch eine geöffnete Tür im Wintergarten, nahm den längeren Weg um den Pool, rannte über den Rasen und musste sich
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