Kein Tod wie der andere
nicht enttäuschen. Doch als sie Mattis wieder anblickte, spürte sie, dass sie das soeben schon getan hatte.
»Natürlich feiern wir deinen Geburtstag. Mattis, ich muss jetzt nur schauen, wie ich das alles hinkriege. Wie war denn die …« Ihr sensibler, fast elfjähriger Junge hatte sich aber schon umgedreht und war in Richtung Tür gegangen. »Mattis?« Er blieb stehen. »Ich verspreche dir, wir werden einen schönen Geburtstag feiern.«
Ihr Sohn verließ, ohne sich noch einmal umzudrehen, den Raum, und Marie wusste nicht, wie sie ihr Versprechen einhalten sollte.
Mattis war den ganzen Nachmittag in seinem Zimmer geblieben. Marie hatte ihm genau wie den beiden Mädchen Limo, Obst und einen Schokoriegel gebracht. Später war er mit einem Nachbarjungen zum Fußballtraining gefahren, und sie hoffte, dass der Sport ihn ablenken würde. Bis er wiederkam, musste sie eine Lösung für die Geburtstagsfeier gefunden haben. Gleichzeitig befürchtete sie, der damit verbundene Trubel in ihrem Haus könnte Zoé nicht bekommen, zumal sie mit ihrem letzten Geburtstag den Tod der eigenen Schwester verband. Konnte sie Zoé für den Sonntagnachmittag jemand anderem mitgeben?
Wieder wurde sie durch das Klingeln an der Tür aus ihren Überlegungen gerissen. Diesmal war es recht kurz, fast zaghaft, und somit schloss Marie Nachbarskinder und Postboten aus. Sonst hatte sich allerdings in letzter Zeit kaum jemand in ihr Haus verirrt. Sie ging zur Türsprechanlage und schaute in den kleinen Monitor. Vor dem Haus stand ein ganz in Schwarz gekleideter Mann, der suchend von rechts nach links und dann etwas unsicher in die Kamera seitlich über der Tür schaute.
Mit Christian Buhle hatte sie jetzt gar nicht gerechnet. Sie wusste nicht, ob sie heute wirklich noch die Kraft hatte, ihn zu sehen. Sosehr sie sich auf den gestrigen Abend gefreut und sosehr sein Erscheinen heute Nacht sie beruhigt hatte, jetzt wollte sie eigentlich allein mit den Kindern sein, die sie ganz beanspruchten. Sie betrachtete sein Bild auf dem Display und fragte sich wie so oft, seit sie ihn kannte, in welcher Rolle er nun zu ihr kam. Aber diesmal konnte sie sich die Antwort selbst geben, und sie brauchte jetzt wirklich keinen Kommissar in ihrem Haus, und schon gar keinen, der schlechte Botschaften brachte. Dennoch drückte sie auf den Summer und ließ ihn herein. Vielleicht, hoffte sie, würde er nur eine Frage stellen und gleich wieder gehen.
»Hallo Marie, kann ich dich sprechen?«
Sie spürte die Enttäuschung darüber, dass sie mit ihrer Vermutung richtig lag. Ein Freund hätte eine andere Begrüßung gewählt. Sie versuchte gegen diesen inneren Vorwurf anzukämpfen. Rief sich ins Gedächtnis, wie er sie in der letzten Nacht in die Arme genommen hatte und was das für ihn für eine Leistung gewesen sein musste. Doch sie spürte, wie in dieser Situation die Distanz zu ihm wuchs.
»Marie, geht es dir nicht gut?«
»Nicht wirklich.« Mit einem Seufzer fuhr sie fort: »Ich habe mich gerade gefragt, ob es mir momentan nicht zu viel ist, noch Besuch zu empfangen. Aber wahrscheinlich bist du dienstlich hier und ich habe gar keine Wahl, oder?«
Christian Buhle war auf der vorletzten Stufe stehen geblieben. Sie blickte in ungewohnter Perspektive von oben herab auf diesen deutlich älteren Mann mit der stets in Schwarz gehaltenen Kleidung und dem wieder einmal erstaunten und unsicheren Blick – wie so häufig, wenn sie sich trafen.
»Wenn ich dich störe, kann ich gleich wieder gehen. Ich wollte mich nur erkundigen, wie es dir und Zoé geht, nach dieser Nacht.«
»Ich bin müde, und für Zoé dürfte die Nacht noch das geringste Problem gewesen sein.«
Marie sah Christian an, dass ihre kurze, abweisende Antwort ihn traf. Eigentlich wollte sie das gar nicht. Er konnte nichts dafür, dass sie sich gerade überfordert fühlte. Er konnte auch nichts dafür, dass ihn wieder ein Kriminalfall in ihr Haus führte.
»Entschuldige, komm erst mal rein. Ich bin wirklich ein wenig fertig.« Sie drehte sich um, ging in die Küche und fragte, ohne sich umzudrehen: »Möchtest du etwas trinken?« Als keine Antwort kam, schaute sie doch über ihre Schulter zurück. Er war ihr nicht gefolgt. Sie seufzte und wollte gerade wieder zurückgehen, als sie seine Schritte hörte. Er trat ein und blieb direkt hinter der Tür stehen.
»Ich wollte wirklich wissen, wie es euch geht.«
»Okay. Also, ich musste heute Morgen eine wichtige Besprechung an der Uni absagen. Jetzt hätte ich
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