Kein zurueck mehr
meinem Geburtstag eine Kerze für mich angezündet. Ich starre aus dem Fenster und zähle die Autos, die uns entgegenkommen.
All meine blockierten Worte lösen sich in Luft auf.
Das Restaurant ist in knalligem »Merkst du nicht, wie hungrig du bist?«-Rot eingerichtet. Irgendwo hat irgendjemand mal eine Studie durchgeführt und herausgefunden, dass Rot hungrig macht, und plötzlich findet man kein Restaurant mehr ohne rote Wände oder Sitzecken oder Stühle oder, in den wirklich billigen Lokalen, alles zusammen. Als wenn ich noch etwas bräuchte, um meinen Magen zu stimulieren. Das Restaurant ist leer, abgesehen von einer Frau an einem Vierertisch, die die Eiswürfel in ihrem Wasserglas untersucht.
Ich nehme meine Gabel und klappere mit ihr auf dem Tisch herum. An der Wand entdecke ich eine Uhr mit rotem Neonrand. Ich beobachte, wie der Sekundenzeiger weiterwandert. In einer halben Stunde haben wir kein einziges bedeutendes Wort miteinander gewechselt. Ich habe erfahren, dass er Medizin studiert, weshalb er zu verrückten Zeiten arbeitet und Patienten behandelt (»Als Student?«, habe ich gefragt. »Ja, so läuft das hier«, hat er gesagt), und dass er zum Medizinstudium nach Albuquerque gekommen ist, weil das Klinikum an der University of New Mexico so gut ist. Aber das war’s auch schon.
Wir haben mehr mit der Kellnerin geredet als miteinander – wir haben unsere Bestellungen aufgegeben und Christian hat nach einem Beutel Eiswürfel für mein Gesicht gefragt. Die Kellnerin, die so um die fünfzig zu sein scheint, lässt den Eisbeutel auf den Tisch fallen und knallt den heißen Kakao vor mich hin. Als er überschwappt, nimmt Christian seine Serviette, um den Tisch abzuwischen. Dann fängt er an, kleine Fetzen von der Serviette abzurupfen, die er anschließend zwischen Daumen und Zeigefinger zu Kügelchen formt, wie Reiskörner aus Papier. Ratsch, roll. Ratsch, roll. Ich nehme den Beutel, höre die Eiswürfel klackern und presse ihn gegen meine Wange. Ich übe leichten Druck aus und beginne, mein Gesicht zu vereisen.
»Jace«, sagt er endlich. »Es tut mir leid, dass ich weggegangen bin und dich nicht mitnehmen konnte.«
Er malträtiert weiter seine Serviette.
Ich räuspere mich. »Wo bist du eigentlich hingegangen?«
»Erinnerst du dich an Paul Costacos?«
Er war Christians bester Freund in der Highschool und wusste alles über Tiere. Er hatte ein Aquarium voller Einsiedlerkrebse, deren Gehäuse wie die Helme der National Football League angemalt waren. Mir gefiel der Stern der Dallas Cowboys immer am besten.
»Ich war bei ihm zu Hause und fing an Blut zu husten. Seine Eltern haben mich ins Krankenhaus gebracht, die Polizei abgewimmelt und mir nie irgendwelche Fragen gestellt. Wahrscheinlich habe ich ihnen deshalb alles erzählt.«
Ach so ist das. Er denkt also, er sollte mich nicht fragen, warum ich hier bin.
Ratsch, roll. Allmählich tut mir diese Serviette leid. Als er sieht, dass ich sie anstarre, hört er auf und redet mit fester Stimme weiter. Ohne Gefühle, die die Fakten verschleiern, aber auch nicht, als wäre das Ganze jemand anderem passiert. Er ist der Herr seiner Geschichte; ich kann meine noch nicht einmal in Worte fassen. Ich beuge mich vor, um ihn besser zu verstehen, als er weitererzählt.
»In den folgenden Wochen planten wir, wie ich verschwinden würde. Ich hab bei Pauls Bruder im Hyde-Park-Bezirk gewohnt. Pauls Mutter arbeitete in der Verwaltung der Laboratory School an der Uni. Sie hat mir geholfen, dorthin zu wechseln, um mein letztes Schuljahr zu absolvieren. Seine Eltern haben sogar einen Kredit für mich aufgenommen, damit ich die Gebühren zahlen konnte. Sie haben einen Job für mich gefunden, Tische abräumen in einem Restaurant in Greektown. Ich hab alles gespart, um ein Flugticket nach New York kaufen und dort mein Unistipendium einlösen zu können.«
Damit hat er alles und doch nichts erklärt.
»Wenn du das alles planen konntest«, sage ich, »warum konntest du dann nicht eine Möglichkeit finden, vorbeizukommen und mir davon zu erzählen?«
»Er hatte dich noch nie geschlagen. Ich dachte, du würdest klarkommen.«
Seine Serviette ist jetzt vollkommen zerfetzt und er greift nach meiner. Ich drücke das Eis fester an mein Gesicht, bis es so richtig wehtut.
Die Kellnerin bringt das Essen. Ich schnappe mir den Ahornsirup, weiche alles ein und mache mich dann über die Pfannkuchen her. Ich hasse den faden Geschmack dieser Pfannkuchen, aber ich esse weiter, zu hungrig,
Weitere Kostenlose Bücher