Keine Angst vor Anakondas
Während meiner zweijährigen Zeit als Leiter einer Leguanstation auf der honduranischen Karibikinsel Utila habe ich mehr als 50 Vogelspinnen aus der Station gerettet. Zum Erstaunen vieler Besucher habe ich sie sogar über meine Hände krabbeln lassen. Es ist in Honduras nicht unbedingt üblich, ein Glas über diese fetten Spinnen zu stülpen, ein Blatt Papier unter sie zu schieben, das Glas umzudrehen und die Spinnen nach draußen zu bringen. Nicht ein einziges Mal war dabei eine Vogelspinne aggressiv und hat versucht zu beißen. Das übliche Schicksal der verkannten Tiere sind die Varianten »Vom Pantoffel erschlagen« oder »Vom Staubsaugerrohr eingeatmet«. Wenn eine Vogelspinne im Haus vorstellig geworden ist, sollte man aber nicht denken, die verschwindet schon bald von selbst. Die Weibchen können immerhin bis 20 Jahre alt werden.
Vogelspinnen sind nicht angriffslustig und beißfreudig. Einmal hatte ich in der Leguanstation einen bodenbewohnenden Gecko im letzten Tageslicht gesehen, den ich mir näher anschauen wollte. Als er raschelnd in einer nahen Erdhöhle verschwand, grub ich das Loch mit den Händen ein wenig auf und steckte meine Hand tief hinein, um den Gecko vorsichtig herauszunehmen. Biologen machen so etwas, sie können gar nicht anders. Ich fühlte aber dann mit den Fingern keine Reptilienhaut, sondern haarige, zappelige Beine. Die Vogelspinne hatte ich bereits gegen die Höhlenwand gedrückt. Als ich meinen Fehler erkannte, zog ich reflexartig meine Finger aus der Erdhöhle. Mit einem Biss des kleinen Geckos hatte ich gerechnet. Das war mir egal, er ist zu klein, um meine Haut zu durchdringen. Ich war innerlich auf ihn vorbereitet, doch die Vorstellung, von den kräftigen Kieferwerkzeugen einer Vogelspinne gezwackt zu werden, jagte meinen Puls hoch. Es ist erstaunlich, doch die Vogelspinne hat mich nicht gebissen, obwohl sie sich sehr bedroht gefühlt haben muss.
Ähnlich erging es Mitarbeitern der Station, die in der Küche Lebensmittel von den Regalen holten oder im Büro nach Ordnern griffen. Vogelspinnen versteckten sich hier gerne. Die Türen der Station hatten unten einen Schlitz, schlossen also nicht dicht, und nachtaktive Tiere wie Mäuse, Skorpione und eben Vogelspinnen verirrten sich des Öfteren ins Innere. Gelegentlich berührten die Mitarbeiter unabsichtlich die zotteligen Achtbeiner, was mit einem kurzen Schrei quittiert wurde. Gebissen haben sie aber kein einziges Mal, sodass ich über die Giftwirkung nicht aus erster Hand berichten kann.
Das Saug-Gelage der Spinnen
Tatsächlich sollten wir die Spinnen als unsere nützlichen Freunde betrachten. Auch wenn eine ganze Reihe von ihnen darauf spezialisiert ist, andere Spinnen zu erbeuten, sind sie doch im Wesentlichen exzellente Insektenvertilger. Ohne die achtbeinigen Spinnen würden uns die sechsbeinigen Insekten um ein Vielfaches mehr piesacken und weit mehr unserer landwirtschaftlichen Erzeugnisse von den Feldern knabbern. Eine beeindruckende Rechnung verdeutlicht dies: Auf einem Quadratmeter naturnahem Waldboden wurden schon bis zu 150 Spinnen gezählt. Wenn jetzt jede einzelne dieser Spinnen in den warmen Monaten eines Jahres im Schnitt zwei Gramm Insekten verzehrt, dann vernichten die Spinnen auf einem Hektar etwa 3 000 Kilogramm Insekten. Drei Tonnen! Eine Hypothese besagt sogar, dass die ursprünglich flugunfähigen Insekten die Möglichkeit des Fliegens entwickelten, um ihrer Verfolgung durch die Spinnen zu entgehen. Gleiches würde für das Hüpfen der Heuschrecken gelten. Dann hätten die Spinnen ihrerseits mit den Fangnetzen, mit denen sie Fluginsekten aus der Luft sieben, nachgerüstet.
Pauschal kann man sagen, dass Tiere mit großen Augen und schönem Fell bessere Quoten garantieren als krabbelnde Spinnentiere, die in der Ekelskala ganz oben rangieren. Aus der Erwägung heraus, dass ein überwiegender Teil der Zuschauer ganz eindeutig Tiere der »Süß-und-niedlich-Fraktion« sehen will, fordern die Redakteure der Fernsehsender ein, dass diese Sympathieträger die Drehbücher der Tierfilme bestimmen – zu Recht. Fakt ist nun mal, es sollen viele Leute erreicht werden. Ein Trick besteht nun darin, zum Beispiel in einen »Waldfilm« mit kleinen Krabbelviechern oder glitschig anmutenden, sich paarenden Unken zur Abwechslung Fuchsbabys, drollige Dachse und putzige Frischlinge einzubauen, die zu passender Musik herumtapsen und Fangen spielen. Es ist dann alles da, wozu der Zuschauer »süß« oder »spannend« sagt. Das
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