Keine Angst vor Anakondas
verbrachte er voll konzentriert damit, die Spinnen beim Verlassen ihrer Eihüllen und bei ihren ersten Gehversuchen zu filmen. Ihm gelangen faszinierende Aufnahmen, die ihren Weg in den Spinnenfilm fanden. Kurt Hirschel schmunzelt noch heute über diesen Geniestreich, der ihm so perfekt gelungen war.
Morgentau als Motivator
»Nun mach mal!«, beinahe schon flehentlich richtet Kurt Hirschel seine Worte an die Spinne. Die Kamera steht schon lange bereit. Die Temperatur und die Lichtverhältnisse stimmen. Nur – die Spinne will einfach nicht ihre baumeisterlichen Fähigkeiten zeigen und mit dem Netzbau beginnen. Gehört hat sie ihn, obwohl sie über keine Ohren verfügt. Geräusche nehmen Spinnen über feine Sinneshaare an ihren multifunktionalen Beinen wahr. Neben dem üblichen Krabbeln und dem Tasten riecht sie mit den Beinen. Der Sinn von Kurt Hirschels Worten bleibt ihr jedoch verborgen. Wie mag es wohl für die Spinne klingen, wenn so ein ungeheuer großes Lebewesen spricht? Womöglich kommt nicht mehr als ein dröhnendes Rauschen bei ihr an.
Spinnen lassen sich nicht dressieren. Alle Krabbler machen nur das, wozu sie genetisch veranlagt sind. Beherrscht und gesteuert werden sie von ihrem Instinkt. Nichts anderem. Wenn Sie zu Hause quakende Frösche im Gartenteich oder die Arien einer Nachtigall vor dem offenen Schlafzimmerfenster haben, dann wissen Sie, wie instinktgesteuert Tiere sind. Sobald die Rahmenbedingungen wie Wetter und Jahreszeit stimmen, wird gequakt und geträllert ohne Unterlass. Die Tiere können gar nicht anders. Sie schreien ihr ureigenes Sein in die wilde Welt hinaus. Und, sind wir in unserem Tun dem auf unsere Weise nicht sehr ähnlich? Kurt Hirschel war sicher auch öfter zum Schreien zumute, doch er ist von besonnenem Gemüt.
Geduld ist eine Tugend, die Tierfilmer nicht nur draußen in der Wildnis brauchen, sondern in diesem Fall auch im Labor. Wenn die Spinne nicht will, dann will sie nicht. Kurt Hirschel beginnt zu experimentieren, um den Spinnen möglichst ideale Bedingungen zu bieten. Sie müssen den Instinkt der Spinne ansprechen, sie sozusagen zum Handeln herausfordern. Die Suche nach den passenden Verhältnissen, um das gewünschte Verhalten aus den Spinnen herauszukitzeln, ist oft eine zermürbende Arbeit. Dann diskutieren sie, wälzen Bücher über Spinnen, probieren neue Strategien aus. Gelegentlich bringen und brachten die Spinnen sie an den Rand der Verzweiflung. Habe ich vielleicht nicht an alles gedacht, geht es Hirschel durch den Kopf? Die Temperaturen stimmen, sind eingestellt auf den Lebensraum ihres Vorkommens. Die Lichtverhältnisse bei einer filmgerechten Ausleuchtung passen. Kurt Hirschel erkennt schnell, dass er am besten Lichtquellen nutzt, die wenig Wärme produzieren, da die Spinnen ansonsten in der Hitze geschmort werden. Um eine optimale Luftfeuchtigkeit herzustellen, sprüht er das künstliche Biotop samt Spinne mit einem feinen Zerstäuber ein. Das scheint vielen Spinnen zu gefallen, sie regelrecht zu stimulieren. Sie krabbeln los, und mit ein bisschen Glück beginnen sie endlich, ihre kunstvollen Netze zu weben.
Für den Zerstäuber haben die Tierfilmer einen passenden Namen: »Schrittmacher«. Vielleicht fühlen sich die Spinnen im feinen Wasserstaub wie ummantelt von Morgentau im Sonnenaufgang, den sie in der Wildnis als beste Zeit für den Bau eines Netzes ansehen. Es mag die Feuchtigkeit sein, die sie aufzunehmen begehren, die ihnen bessere Bedingungen zum Netzbau bietet. In die Spinnen können sie nicht hineinsehen, sie versuchen sich aber in ihre Lage hineinzuversetzen und ihren Bedürfnissen zu entsprechen. Viele Faktoren können entscheidend sein, wenn es darum geht, spezielle Verhaltensweisen auszulösen. Neben Luftfeuchtigkeit, Temperatur und Licht spielt auch die Jahreszeit eine Rolle. Manchmal muss man einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein.
Bei Begegnungen von Menschen mit Spinnen scheint das allerdings nicht zu gelten. Spinnen sind dann grundsätzlich am falschen Ort.
Athene und Arachne
Das Image der Spinnen ist auf dem Niveau des tiefsten Kellerschachtes angekommen. Bei erstaunlich vielen Menschen ruft der Anblick von Spinnen beklemmende Angst hervor. Sie bekommen eine Gänsehaut, ihre Nackenhaare stellen sich auf. Spinnen werden inbrünstig gehasst. Ähnlich den Schlangen werden sie verteufelt oder vergöttert, lösen Angst oder Faszination aus. Gleichgültig sind sie fast niemandem, jeder hat da sein eigenes spezielles Empfinden.
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