Keine Angst
einen gesunden Salat ißt.
»Und?« fragt P.
Der Kommissar denkt nach. Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet. »Pinot«, beschließt er.
Der Pinot kommt. Der Kommissar trinkt, P. unterwirft die dunkelgrünen Blätter auf seinem Teller ausgeklügelten asiatischen Falttechniken.
»Der Tünnes ist tot«, sagt der Kommissar zwischen zwei Schlucken.
P. schaut auf.
»Man fand ihn«, fährt der Kommissar zwischen zwei weiteren Schlucken fort, »mit durchgeschnittener Kehle in einem Frisierstuhl der Coiffeurkette M. Eine ziemliche Sauerei. Augenzeugen berichten, er sei dort zwecks einer Naßrasur erschienen.«
»Und? Hat jemand gesehen, wer’s war?« forscht P. zwischen zwei Blättern.
»Leider nein.« Der Kommissar schüttelt zwischen zwei Schlücken traurig den Kopf. »Als es geschah, war außer Tünnes und der Friseuse keiner mehr im Salon.«
»Wer hat ihn denn gefunden?« fragt P. zwischen zwei Blättern.
»Bläblä.«
»Sprechen Sie immer zwischen zwei Schlucken«, rät ihm P. zwischen zwei Blättern. »Nicht währenddessen.«
»Danke«, sagt der Kommissar zwischen zwei Schlucken. »Gefunden hat ihn übrigens der Schäl.«
P. will etwas zwischen zwei Blättern erwidern, aber der Salat ist alle. »Dieser Tünnes« sagt er nachdenklich, »ist, wenn ich mich recht entsinne, doch eine derbe Volksfigur im eher metahistorischen Kontext, oder? Wie kommt der überhaupt in einen Frisiersalon? Zweite Frage, können wir davon ausgehen, daß es die Friseuse oder sonstwer war, wenn sich der ganze Tünnes als fiktiv erweist?«
»Die Friseuse haben wir verhaftet«, meint der Kommissar nicht ohne Stolz. »Sie hat ihn rasiert, gibt jedoch an, ihm nicht die Kehle durchgeschnitten zu haben. Tja. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich kannte den Tünnes eigentlich auch immer nur aus Witzen.«
»Interessant. Können Sie mal so einen Witz erzählen?«
»Sicher«, strahlt der Kommissar. »Also, das ist ein guter, der geht so: Der Schäl steht auf der Deutzer Brücke und ruft: Frische Fischaugen! In dem Moment kommt der …« Er stockt.
»Was ist? Warum hören Sie auf?«
»Ich kann den Witz nicht erzählen«, sagt der Kommissar unglücklich. »Ohne den Tünnes kann man den Witz nicht erzählen.«
»Eben«, ruft P. triumphierend. »Hier liegt nämlich das Motiv. Festhalten!«
Das Central erzittert.
»Was war das?« fragt der Kommissar bestürzt.
P. beugt sich vor, bis sich der Kommissar in seinen Brillengläsern spiegeln kann.
»Merken Sie das denn nicht?« zischt er. »Ist Ihnen nicht aufgefallen, daß alles um uns herum sich alle paar Minuten umzukehren, nachgerade um hundertachtzig Grad zu drehen scheint, als katapultiere man uns ständig von einer Seite der Erdkugel auf die andere?«
»Doch«, flüstert der Kommissar. »Jetzt, wo Sie es sagen …«
»Wissen Sie, was ich glaube? Auch das hat möglicherweise mit dem Fall zu tun.«
»Wie aber kann das sein, o Sokrates?«
»Später. Warten Sie, da kommt soeben der bestens bekannte A. Er soll sich zu uns setzen und uns bei der Aufklärung behilflich sein. Zum Gruße, Herr Präsident! Nehmen Sie doch Platz.«
A., sichtlich verdattert über sein Hiersein, läßt sich mit der Grazie eines vitalisierten Kleiderständers nieder. Er verirrt sich eigentlich nie ins Central, aber wir müssen ihn sich dennoch dichterisch hierher verirren lassen, sei es auch ganz gegen seine sonstigen Usancen. Denn A. muß P. das Stichwort geben, indem er sagt: »Neblig draußen.«
»Es war nicht neblig, als ich kam«, meint der Kommissar vorsichtig.
»Wenn A. sagt, es ist neblig, wird es wohl so sein«, versetzt P. in aller Seelenruhe. »Was haben Sie gegen den Nebel unternommen, Herr Präsident?«
»Nichts«, nuschelt A. verdrießlich. »Mir blieb nur, neuerlich den Kölner Autobahnring zu sperren, sodann den Militärring und den Ring vom Ebert-bis zum Rudolfplatz. Überhaupt sind die allerwenigsten Straßen und Plätze in der Suppe auszumachen, der Rest scheint regelrecht inexistent zu sein. Ich finde das empörend.«
P. zwinkert wissend und flüstert dem Kommissar etwas ins Ohr, so leise, daß es nicht mal der Autor verstehen kann. Der Kommissar hebt die Brauen, nickt, steht auf, hält kurz inne, weil das Central wieder in ominöse Schwankungen verfällt, derweil P. »Festhalten!« schreit, rennt dann unvermittelt zur Schwingtür, welche das O.T. von seiner Küche trennt und reißt sie auf.
Dahinter weißer Nebel, enigmatisches Nichts!
»Da ist ja gar keine Küche!«
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