Keine Frage des Geschmacks
Feuerwehrhaus lag. Hätte man den Mann bei Tageslicht unter ihren Augen aus dem Wasser gezogen, wäre einigen von ihnen die Lust am Sprung ins Wasser vorerst vergangen.
»Vierundzwanzig Stunden höchstens, würde ich aufs erste sagen. Keine Treibspuren, die Kleidung ist unversehrt, die roten Flecken am Reißverschluss sind kein Blut. Ich tippe auf Lippenstift. Auf Anhieb kann ich keine Fremdeinwirkung feststellen. Nur ein Hämatom am linken Oberschenkel, als hätte er sich gestoßen. Dort fehlt auch an seiner Hose ein kleiner Fetzen Stoff. Noch kein Anzeichen von Wachshaut, Fäulnis, Autolyse oder Mazeration. Wir haben seine Temperaturgemessen und auch die des Wassers, der Rückgang der Körpertemperatur wird uns genauere Auskunft geben. Er kommt erst einmal für zwei, drei Tage bei vier Grad in den Kühlschrank, und dann geht’s an die Autopsie. Hier sind die Dinge aus seinen Hosentaschen.« Er deutete auf verschiedene transparente Plastikbeutel mit einer Menge Zetteln darin, ein Portemonnaie, ein dicker Stapel Banknoten und Kreditkarten, zwei vakuumverschlossene Säckchen mit einer braunen Masse, der Autoschlüssel mit weißblauem Logo, sowie eine sündhaft teure Patek-Phillip-Calatrava-Armbanduhr. »Zumindest bleibt er nicht anonym. Dort ist sein Ausweis. Viel Spaß mit den deutschen Behörden.«
Laurenti warf einen Blick auf das Dokument. Harald Bierchen, wohnhaft in Frankfurt am Main, ein Jahr jünger als er. Er bat den Beamten von der Kriminaltechnik, noch in der Nacht Fotografien oder Kopien anzufertigen sowie eine Auflistung dieser Gegenstände zu erstellen, und gab Pina Cardereto, der Inspektorin, die nun im vierten Jahr in seinem Kommissariat Dienst tat, die Anweisung, die Sache zu übernehmen. Die Anfrage nach Deutschland abzuschicken und die vorliegenden Fakten zu dokumentieren. Morgen früh würden sie sich dann zu einer Bestandsaufnahme zusammensetzen. Der Mann war seit geraumer Zeit tot, kein Übereifer würde ihn wieder ins Leben rufen. Es gab keinen Grund, noch länger hierzubleiben.
Laurenti ließ die Vespa an. Der Weg aus dem Gelände des Porto Vecchio, führte an den Lkws eines Filmteams vorbei, das mit seinen Scheinwerfern die tiefe Flucht zwischen den verkommenen Speichergebäuden ausleuchtete, hinter denen die Albanienfähre an der Mole vertäut lag.
Auf der Viale Miramare beschleunigte er. In einer Viertelstunde wäre er daheim im Haus an der Küste. Der Mond hatte sich über die Hügel im Osten der Stadt erhoben und würde gleich mit seinem weißen Licht das Meer erleuchten.
Sex on the Beach
»Da, schau dir diese Sauerei an!«, rief Jeanette McGyver zornig.
Ihre frisch gelegten blonden Dauerwellen wippten wie ein Ruderboot, das in die Bugwelle eines Dampfers geraten war, und ohne zu erröten knallte sie ein Foto nach dem anderen auf den Tisch. Dabei sah sie sich über sich selbst erschrocken um, doch war außer Miriam Natisone niemand mehr im Raum. Die aufstrebende Politikerin hatte den über eine alte Wendeltreppe zu erreichenden Function-Room im Obergeschoss des Horse Pub & Restaurant in der Westminster Bridge Road zur gemütlichen Alternative ihres Abgeordnetenbüros gemacht. Das Champagnerglas tat einen kleinen Satz und schwappte über, als sie so heftig auf die Tischplatte schlug, dass ihr die Handfläche brannte.
»Du bist die einzige, der ich die Bilder zeige. Ganz abgesehen davon, dass es sich hier um die reinste Pornografie handelt, reicht schon die Tatsache, dass ich mit jemandem vögle, der nicht mein Ehemann ist. Meine Karriere steht auf dem Spiel und damit all mein Engagement der letzten fünfzehn Jahre.«
»Wann und wo ist das passiert?«, fragte Miriam Natisone. Die Journalistin war eine hochgewachsene, schlanke, aus Äthiopien stammende Frau, die seit fünfundzwanzig Jahren in London lebte. Ihr wasserstoffblonder Bürstenschnitt kontrastierte auffällig mit ihrer Hautfarbe.
»Norditalien, im Seebad Grado, ›Insel der Sonne‹ genannt. Er hat mich am Strand angesprochen. Das war vor sechs Wochen. Ich hatte es eigentlich schon vergessen.«
Miriam beeilte sich nicht im geringsten mit dem Durchblättern. Trotz der delikaten Aufnahmen, die ihre Freundinin jeglichen denkbaren Stellungen zeigten und auf denen kein schwarzer Balken den gesellschaftlichen Konsens herzustellen versuchte.
»Zumindest musst du deine Freude gehabt haben, der Junge hat ja mächtig was zu bieten. Und schöne Lippen hat er auch.« Ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel.
»Ein Drecksack! Er hat
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