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Keine Frage des Geschmacks

Keine Frage des Geschmacks

Titel: Keine Frage des Geschmacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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fragte sie. »Wie hast du das Zeug erhalten?«
    »Heute früh per Kurier, in mein Büro, mit dem Hinweis ›persönlich/vertraulich‹. Gottlob war meine Sekretärin beim Zahnarzt.«
    »Und der Absender?«
    Jeanette tippte auf den Briefumschlag, auf dem noch die Aufkleber des Kurierdienstes prangten. »Ein Reisebüro in Udine, eine Stadt in der Nähe von Grado. Ich habe die Reise per Internet über dieses Büro gebucht. Aber der smarte Junge da, Aurelio nennt er sich, war aus Triest. Achtundzwanzig Jahre alt, angeblich arbeitet er als rechte Hand eines einflussreichen Geschäftsmanns und Drahtziehers, vor dem, wie er sagte, sich alle fürchteten. Und ihm schuldete dieser Hai seit langem den Lohn. Aus diesem Grund wollte er auch den Job nicht wechseln. Wenn er von sich aus kündigen würde, könnte er lange auf sein Geld warten. Aber vermutlich stimmt das sowenig wie sein Name. Wie er weiter heißt, weiß ich nicht. Ich habe ihn nie danach gefragt. Ein Urlaubsflirt, sonst nichts, dachte ich.«
    »Dachtest du!« Miriam deutete auf eines der Bilder, auf dem Jeanette vor dem Mann kniete. »Die Goldkette, die er um den Hals trägt, mit diesem auffälligen roten Klunker. Legte er die nie ab?«
    Jeanette verneinte.
    »Niemals? Nicht einmal beim Vögeln?«
    »Nein, die war sein Ein und Alles.«
    »Hast du eigentlich für seine Dienste bezahlt? Hast du ihm Geld gegeben?« Ihre Stimme hatte schlagartig etwas Strenges. Sie fixierte Jeanette eine Weile und malte sich aus, wie ihre hübsche blonde Freundin dem jungenhaften, gut gebauten Aufreißer aufgelaufen war. Fern der Heimat, frustriert, gestresst, gelangweilt. Einsam in einem romantischen Urlaubsort, sommerlich leicht gekleidet und berufsbedingt so weit von der Realität des gemeinen Volks entfernt, dass sie nicht die geringste Vorsichtsmaßnahme getroffen hatte. Den Fotos zufolge hatten sie nicht einmal Präservative benutzt. Fehlte nur noch, dass sie von dem Kerl schwanger war oder sich sonst was geholt hatte.
    Jeanette schüttelte entschieden den Kopf. »Dort in Grado habe ich ihn natürlich eingeladen.«
    »Ja, natürlich«, kommentierte Miriam und fuhr flüchtig mit der Hand über ihren hellen Igelschnitt.
    »Und ich habe ihm etwas Geld geliehen, weil seine kleine Tochter, die bei der Mutter lebt, nach einem Unfall eine teure Arztbehandlung brauchte. Der Junge war so unglücklich. Am liebsten wollte er weit weg, sagte er, Australien, Neuseeland. Hauptsache weg.«
    »Wie viel?« Ihre Freundin musste im Urlaub einen heftigen Sonnenstich erlitten haben.
    »Elftausend.«
    Jeanette McGyvers Stimme klang brüchig, als schämte sie sich ihrer Torheit. Diese Frau, der man im Unterhaus als Reminiszenz an die »Iron Lady« den Spitznamen Maggie verpasst hatte, weil kaum einer gegen die kompromisslose Schärfe ihrer Reden und die Härte ihres Auftretens ankam, ihre überlegene Schlagfähigkeit und ihr stets so distanziertes Auftreten. Ihre männlichen Kollegen, die hinter vorgehaltener Hand selten mit Bemerkungen über ihre Figur sparten, bedauerten ihre Unnahbarkeit und sahen sie bereits auf dem Chefsessel des Familienministeriums, wenn Labour fallen sollte. Jetzt war die einflussreiche Politikerin aus betuchtem Elternhause zusammengesunken wie ein Häuflein Elend.
    »Wie viel?«, raunte Miriam ungläubig. »Einen Tausender am Tag etwa? Nicht schlecht. Und du bist dir nicht einmal sicher, dass er wirklich Aurelio heißt, während er natürlich deinen ganzen Namen samt Adresse kennt?«
    »Das ist doch nicht schwierig. Es genügte, sich im Hotel zu erkundigen. Oder in meiner Handtasche zu wühlen, während ich das Bidet benutzte.«
    »Ich fürchte, dir bleibt nur eins: Du musst offensiv damit umgehen. Du musst die Geschichte umdrehen. Unsere Medien lassen keine Gelegenheit aus, wenn es um die Italiener geht. Mit etwas Geschick wird eine glaubwürdige Story daraus, wenn du zwei, drei Bilder einscannst und sie so am Bildschirm bearbeitest, als wäre dein Kopf einmontiert. Du weißt schon, perfekt muss es sein, aber nicht allzu exakt. Ein dicker Balken hier rüber und dort natürlich erst recht. Und dann brauchst du Hilfe von einem Journalisten einer seriösen Zeitung, zu dem du einen verlässlich guten Draht hast. Den gibt’s doch wohl. Du ziehst ihn ins Vertrauen und berichtest empört, du würdest mit lausigen Fotomontagen erpresst. Bildmanipulation ist sowieso groß in Mode. Natürlich gibst du zu, dass du in diesem italienischen Badeort warst. Das greift sofort und verändert

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