Keine Frage des Geschmacks
die Schlagzeilen: ›Jeanette McGyverOpfer eines primitiven Erpressungsversuchs. Was der Tory-Abgeordneten und engagierten Menschenrechtlerin im Urlaub in Italien passierte, könnte jedem zustoßen. Handelt es sich um eine Intrige?‹ Oder so ähnlich. Bei den Nachrichten, die uns aus dem Land erreichen, wundert das niemand. Der greise, geliftete Premier mit seiner Haarverpflanzung und den weichgezeichneten offiziellen Fotos, der ganz ungeniert mit seinen Qualitäten als Liebhaber prahlt. Die Weltpresse ist voll davon. ›Ich bin kein Heiliger, doch ich ficke göttlich‹, soll er sogar gesagt haben.«
Die Augen der Politikerin leuchteten kurz auf und erloschen gleich wieder, als sie zu einem der Bilder griff. »Der große Leberfleck, den habe ich wirklich.«
»Der muss natürlich auch wegretuschiert werden«, sagte Miriam.
»Ja, aber was ist, wenn ein Reporter eines dieser sensationsgeilen Boulevardblätter das Schwein in Italien ausfindig macht? Woher wohl kann jemand wissen, dass ich genau an dieser Stelle diesen blöden Fleck habe, den der Bikini gerade noch bedeckt?«
»Probier es wenigstens! Wenn die Wahrheit herauskommt, bist du eh geliefert. Egal wie. Doch die Wahrscheinlichkeit ist gering. Da müssten die Journalisten dir erst das Höschen ausziehen, um es zu beweisen. Lass die Sache gezielt hochgehen und nimm ihnen so den Wind aus den Segeln.«
Miriam lehnte sich zurück und nippte an ihrem Glas. Und dann machte sie sich ein paar Notizen: der Name des Absenders, der Zeitraum der Ferien ihrer Freundin, die Nummer des Mobiltelefons des smarten Kerls, die Jeanette noch immer auf ihrem Blackberry gespeichert hatte.
»Mach es wie diese reiche Frau aus Deutschland, die mit den Videos erpresst wurde. Greif an, Jeanette.«
Im Frühjahr bereits hatte ein aufsehenerregender Erpressungsversuch die Titelseiten der internationalen Yellow Presserobert, und selbst die seriöseren Zeitungen widmeten der Geschichte viel Raum. Dafür räumten alle Blätter ruck, zuck ganze Seiten frei, während gut recherchierte, politisch brisante Hintergrundreportagen, wie Miriam sie lieferte, immer seltener wurden.
Ein smarter, vierundvierzigjähriger Schweizer hatte sich in mondänen Luxushotels an vermögende deutsche Frauen herangeschmissen und sich für seine vermutlich exzeptionellen sexuellen Leistungen sehr teuer abfinden lassen. Zuerst entlockte er ihnen mit mitleiderregenden Schauergeschichten, in denen er sich selbst als ein Erpressungsopfer des Organisierten Verbrechens darstellte, Millionenbeträge, die sie ihm sogar freiwillig aushändigten. Was für ein Erzähltalent musste dieser Mann haben! Als sie dann aber die Handtäschchen nicht noch einmal öffnen wollten, präsentierte er den Damen, die aus allen Wolken fielen, Videos vom gemeinsamen Liebesspiel. Er zog weitere Millionen ein. Bis sich eine der Frauen endlich an die Behörden wandte, die den Schuft dank internationaler Zusammenarbeit rasch dingfest machten. Für die Medien war die Sache ein gefundenes Fressen.
»Diese Frau hat mit ihrem Mut allen einen großen Dienst erwiesen«, sagte Miriam ernst, »sie hat mit der Scheinheiligkeit der ehelichen Treue aufgeräumt, auf die sich diese ganze verlogene Gesellschaft stützt. Sie hat den höchsten Orden verdient, den die christliche Welt zu verleihen hat. Eine Heilige.«
»Der höchste Orden ist das Kreuz«, murmelte Jeanette McGyver so deprimiert, als wartete der Scheiterhaufen auf sie. »Und wer retuschiert mir diese Fotos?«
Sie hatte zwar Kofferträger und Sekretärinnen so viele sie wollte, doch an die würde sie sich schwerlich wenden können.
»Verwendest du eigentlich Depilationscreme oder diese zupfenden Klebestreifen oder den Rasierapparat deines Mannes?« Miriam lachte auf, blätterte den Stapel Fotos durch undnahm drei heraus. »Wenn du mir vertraust, dann kümmere ich mich darum. Und wenn du das nächste Mal fremdgehst, dann schließ wenigstens die Tür hinter dir ab.«
»Du weißt ja gar nicht, wie dankbar ich dir bin.« Jeanette lächelte erleichtert und hob ihr Glas.
»Sobald die Fotos fertig sind, rufe ich dich an. Morgen schon. Überleg doch inzwischen, an welchen Journalisten du dich wendest und was du ihm wie erzählst. Du musst unbedingt ganz keusch erröten, wenn du die Geschichte loswirst. Auch wenn nichts Konkretes mehr zu erkennen sein wird. Du hast immerhin den Ruf einer Moralistin. Und übrigens, was die NGO angeht, habe ich ein Anliegen …«
Es war kein Problem, Jeanette McGyver
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