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Keine Gnade

Keine Gnade

Titel: Keine Gnade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Annechino
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sie. »Wollen Sie mich verscheißern? So was sagt man seit Ende der Fünfziger nicht mehr. In welchem Jahrhundert leben Sie denn?«
    Julian zwang sich zu einem Lächeln. Sie war ja eine ganz Schlaue . »Wenn ich eine Frau wie Sie hätte, würde ich niemals von ihrer Seite weichen.«
    Â»Nicht mal zum Pinkeln?«
    Â»Das wäre die einzige Ausnahme.«
    Â»Dann werden Sie ja wohl meinem Verlobten verzeihen, dass er jetzt seine Blase leert.«
    Â»Darf ich Ihnen einen Drink spendieren?«, fragte Julian.
    Â»Offensichtlich kriegen Sie ja wohl gar nichts mit, oder?« Pure Verachtung sprach aus ihren Worten.
    Ihm gefiel nicht, wie sich die Dinge entwickelten. Er wollte sich schon umdrehen und gehen.
    Â»Ich will Sie weder beleidigen noch anmachen, ich habe Sie lediglich gefragt, ob Sie einen Drink mit mir nehmen. Es war völlig ohne Hintergedanken.«
    Â»Und wenn mein Verlobter gleich wieder da ist, werden Sie ihm dann erklären, warum ich bei einem Drink mit einem Fremden sitze?«
    Noch bevor er antworten konnte, kam der Verlobte zurück, ein wenig wacklig auf den Beinen. Er beäugte Julian und legte dann seinen Arm um den Rotschopf. Er wirkte wie der Anführer einer Biker-Gang. »Ist dieser Typ ein Freund von dir, Süße?«
    Â»Er versucht es zu werden.«
    Â»Stimmt das, Kumpel?«
    Â»Es ist nichts passiert. Wollte nur freundlich sein.«
    Â»Wie wäre es, wenn du irgendwo anders freundlich wärst. Oder soll ich dir deine verdammten Mandeln rausreißen?«
    Julian hob seine Hände. »Sie brauchen ja nicht gleich aggressiv zu werden. Ich hab’s ja begriffen.«
    Wütend über die Drohung des Biermanns und gedemütigt wie noch nie, schob sich Julian zur Eingangstür durch, um ein bisschen kühle Abendluft zu schnappen. Draußen ging er die University Avenue auf und ab und war sauer auf sich und sauer auf den Rotschopf und den Biermann. Er hatte wertvolle Zeit verschwendet und würde sich woanders nach einer Testperson umsehen müssen.
    Als er so auf und ab lief, fühlte er eine unglaubliche Wut in sich hochkommen, so als ob das Pärchen einen Schalter in ihm umgelegt hätte und das ganze Forschungsprojekt nun nicht mehr zählen würde. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals so eine Wut verspürt zu haben. Und mit jedem Schritt wurde seine Wut noch größer. Dass eine Frau ihn zurückgewiesen hatte, war neu für ihn. Das hatte er noch nie erfahren. Ein starker primitiver Impuls überwältigte ihn, das Verlangen nach Rache, und er fand nicht die Kraft, einfach davonzugehen.
    Was mache ich hier? Steig in den Wagen, fahr zur nächsten Bar, und such dir jemand anderen! Vergiss das Pärchen. Lass. Es. Sein. Alles, was zählt, ist die Forschung.
    Julian lief zu seinem Mietwagen, der nur etwa dreißig Meter vom Cutty’s entfernt am Straßenrand stand. Als er drin saß, zog er die Tür fester zu als beabsichtigt. Was nun?, dachte er. Vielleicht gab es noch einen Weg, den Abend zu retten. Er nahm sich seine Ledertasche vom Rücksitz, machte die Leselampe an und durchwühlte seine medizinischen Utensilien. Als er gefunden hatte, wonach er suchte, nahm er sich den automatischen Garagentüröffner, der an die Sonnenblende geklemmt war, stieg aus, überquerte die gut befahrene Straße und stellte sich vor eine geschlossene Boutique, von der er einen guten Blick auf den Eingang vom Cutty’s hatte.
    Ich habe das Gefühl, den Bezug zur Realität zu verlieren.
    Gerade als er aufgeben wollte, entdeckte Julian den Rotschopf samt Biermann aus der Bar kommen. Wie stehen die Chancen denn jetzt?, dachte er bei sich. Vielleicht ist das ein Zeichen. Der Mann schwankte leicht und schien volltrunken zu sein.
    Julian folgte dem Pärchen in sicherem Abstand. Er hoffte, dass sie ihren Wagen in einer Seitenstraße geparkt hatten, wo nicht so viel Verkehr herrschte und weniger Passanten vorbeikamen. An der nächsten Kreuzung bog das Pärchen nach links in eine dunkle Gasse ab.
    Julian legte ein wenig Tempo zu, um die Lücke zu schließen, blieb aber immer im Schatten der Gebäude, an denen er vorbeikam. Was er jetzt vorhatte, verstieß gegen alles, woran er glaubte. Um konzentriert zu bleiben, musste er sein Credo flüstern.
    Das Wohl der Allgemeinheit ist wichtiger als das Wohl des Einzelnen.
    Er sah das Pärchen auf einen schwarzen GMC Envoy zugehen. Biermann, der offenbar

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