Keine Gnade
nüchtern genug war, um sich an grundlegende Benimmregeln zu erinnern, schloss die Beifahrertür für seine Verlobte auf. Kurz bevor der Rotschopf in den Wagen stieg, tauchte Julian von beiden unbemerkt hinter ihr auf, legte einen Arm fest um ihre Taille und drückte seine Beretta .380 Automatik mit der freien Hand gegen ihre Schläfe. Weder sie noch Biermann konnten wissen, dass die Pistole nicht geladen war. Doch Julian bezweifelte sehr, dass sie es darauf ankommen lassen würden.
»Kannst du dich erinnern, mein Schatz?«, sagte Julian und drückte sein Gesicht in ihr lockiges rotes Haar.
»Was zum Teufel!«, brüllte Biermann.
»Du fährst, ScheiÃkerl. Los rein«, ordnete Julian an. »Und versuch nur den Helden zu spielen, dann wird das Hirn deiner Freundin das Innere deines schönen neuen SUV zieren.«
»Bitte, Mann«, heulte Biermann, »tu ihr nichts.«
»Das liegt ganz bei dir. Nun rein in den verdammten Wagen und los.«
Julian drückte den Rotschopf auf den Rücksitz und setzte sich neben sie. Die Pistole immer noch gegen ihre Schläfe gedrückt, gab er Biermann Anweisung, wohin er fahren sollte. Während der kurzen Fahrt zu seinem Loft beobachtete er Biermann genau, sprach ständig mit ihm und passte auf, dass er nicht zu schnell oder Schlangenlinien fuhr. Weder Rotschopf noch Biermann sagten einen Ton.
Julian, dessen Körper fest gegen den Rotschopf gedrückt war, sein Arm lag immer noch um ihre Taille, bekam einen Hauch ihres Shampoos in die Nase, das nach Kokosnuss roch. Er bewegte seine Hand und strich ihr dabei kurz über die Brust. Ihr Jeansrock überlieà nichts der Fantasie. Doch das Letzte, was Julian jetzt brauchen konnte, war Ablenkung. Trotzdem eröffneten sich ihm in Gedanken verlockende Möglichkeiten.
Julian kam sich vor, als würde er träumen, er war unfähig herauszufinden, was hier vor sich ging. Irgendeine Macht hatte Besitz von ihm ergriffen, und es war ihm unmöglich, sich zu befreien. Je mehr er darüber nachdachte, was er ge rade getan hatte, umso aufgeregter wurde er. Doch seine Aufregung schlug schnell in Paranoia um. Was war, wenn jemand die Entführung beobachtet hatte? Wenn sie die Polizei gerufen hatten? Sein ganzes Leben, all die harte Arbeit, all die Stunden, in denen er sein Herzblut gegeben hatte, wären von einem Augenblick zum anderen wertlos. Und was war mit seiner Familie? Wie würden sie sich vorkommen, wenn sein Foto auf allen Titelseiten der Zeitungen abgebildet wäre? Er konnte die Schlagzeilen förmlich vor sich sehen:
»Angesehener Kardiologe wegen Entführung festgenommen.«
Wie würde seine Familie die Demütigung überstehen? An diesem Punkt gab es für ihn kein Zurück mehr. Seine einzige Option war, nach vorn zu sehen und diese Verrücktheit irgendwie in etwas Sinnvolles umzusetzen. Denn schlieÃlich hatte er gehofft, seine Tests an zwei Probanden gleichzeitig durchführen zu können. Jetzt musste er seinen Kopf freibekommen und sich auf sein Ziel konzentrieren.
Die Pistole immer gegen die Schläfe des Rotschopfs gedrückt, lieà er ihre Taille kurz los, um in seine Tasche zu fassen und auf die Fernbedienung für das Tiefgaragentor zu drücken. Das Stahltor öffnete sich, und Julian erklärte Biermann, wo er parken sollte.
Da er in seinem Loft nur einen Schlafraum hatte, lieà Julian Rotschopf auf einem Holzstuhl neben dem Bett Platz nehmen und richtete die Pistole auf Biermann. Er bedeutete ihm mit der .380er, sich aufs Bett zu legen. »Gesicht nach unten.« Dann zeigte er mit der Pistole auf Rotschopf. »Und denk nicht mal daran, dich zu bewegen.«
Biermann folgte den Anweisungen, und Rotschopf saà da, ohne sich zu rühren.
Julian zog die Schublade des Rollschränkchens mit dem chirurgischen Besteck auf und griff sich eine Handvoll Nylonriemen.
»Komm her«, schrie er Rotschopf an.
Als sie bei ihm war, tippte Julian die Schulter Biermanns mit der Pistole an. »Umdrehen.«
Rotschopf bekam vier Nylonriemen in die Hand gedrückt. »Ich will, dass du die Handgelenke und die Knöchel ans Bett bindest. Schön straff.«
Als Rotschopf fertig war, überprüfte Julian die Riemen, ob sie auch richtig festgezogen waren.
»Zurück auf den Stuhl«, ordnete er an.
Als Rotschopf wieder saÃ, band Julian ihre Knöchel am Stuhl fest und fesselte ihre Hände hinter ihrem
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