Keine große Affäre
wirbelte herum und lächelte
sie an. Obwohl sie ihn schon fünf Jahre kannte, überraschte sie sein Lächeln
immer noch. Es verwandelte seinen ernsten, fast strengen Gesichtsausdruck in
eine Miene, die Spontaneität und Vertrautheit versprach und ihr mit einem
erregenden Nervenkitzel aus Stolz und Verlangen Auftrieb gab.
»Irgendwas Interessantes?« fragte sie
ironisch, als sie auf ihn zuging, und deutete mit dem Kopf in Richtung des
Schwarzen Bretts, das er gerade studierte. Stephen war einfach unfähig, nichts
zu tun. Er las lieber eine Mitteilung der Personalabteilung über die neue
Lunchgutscheinpolitik ihrer Firma, als es sich wie jeder andere auf einem der
niedrigen Sessel bequem zu machen und ein paar Worte mit der Empfangsdame zu
wechseln.
»Eine Sparmaßnahme, elegant als Prämie
getarnt«, verkündete er, als sie zur Drehtür gingen.
»Wovon man natürlich bei deiner Arbeit
noch nie etwas gehört hat«, zog Alison ihn auf.
»Oh, bei uns wird eher die Streichung
eines weiteren Notbetts als Rationalisierungsmaßnahme verkauft als die
Absenkung des allgemeinen Sandwich-Levels...«
In Stephens Humor lag immer etwas
Schärfe. Sie bewunderte seine Intelligenz, und trotzdem wünschte sie sich
manchmal, er wäre ein wenig unbeschwerter.
»Schön, daß du mich abholst«, sagte
sie und versuchte das freudige Gefühl festzuhalten, das sie eben bei seinem
Anblick empfunden hatte.
Er lächelte sie an und nahm ihre Hand.
Das war eine öffentliche Liebesbezeugung, zu der nur ein wirklich unbefangener
Mensch fähig war, und sie löste in ihr eine weitere Welle von Zuneigung aus.
Als sie noch nicht verheiratet waren, dachte sie etwas wehmütig, hatte er sie
oft von der Arbeit abgeholt, sogar in der Mittagspause. Er hatte sich ihre Hand
geschnappt und sie in ein Taxi gezerrt. Sie waren zu ihr oder zu ihm gerast, um
sich zu lieben. Seit ihrer Heirat taten sie das nicht mehr. Es lag nicht am
Verheiratetsein, erinnerte sich Alison schnell, sondern daran, daß sie jetzt am
Stadtrand wohnten. Man konnte nicht so einfach auf die Schnelle für einen
Quickie nach Kew fahren, und seitdem sie schwanger war, wurde ihr schon bei dem
Gedanken an Sex schlecht.
»U-Bahn oder Taxi?« fragte sie ihn
fröhlich, als sie auf die belebte Straße traten. Sofort brach ihr der Schweiß
aus, und ihre Kleider fühlten sich plötzlich schmutzig an.
»Um diese Zeit U-Bahn, dachte ich. Du
nicht? Ein Taxi würde Stunden brauchen«, antwortete Stephen.
»Schon, aber wir könnten uns
wenigstens unterhalten. Das ist in der U-Bahn unmöglich, wenn es voll ist, und
ich kann nicht den ganzen Weg über stehen«, sagte sie und bedauerte, daß sie
ihm die Entscheidung überlassen hatte.
»Bestimmt steht jemand für dich auf«,
sagte Stephen und sah auf ihren Bauch.
»Manchmal schon, aber darum geht es
gar nicht«, entgegnete sie ungehalten. Sie wollte keine sachliche Diskussion.
Sie wollte nur, daß er ein schwarzes Taxi heranwinkte.
»Okay, wir nehmen ein Taxi. Das ist am
vernünftigsten«, stimmte Stephen zu, dem ihre wachsende Verzweiflung auffiel.
Mir ist scheißegal, ob das vernünftig
ist, wollte sie ihn plötzlich anschreien. Ich bin im achten Monat. Ich will
mich setzen.
Das Taxi war alt und hatte keine
Klimaanlage. Es stank nach Zigarettenqualm. Alison öffnete ein Fenster. Der
Verkehr kam nur langsam voran, als sei die heiße Luft aus Leim. Sie spürte, wie
die Drahtverstärkung ihres BHs in ihren Brustkorb schnitt und ihre Beine am
Sitz festklebten.
»Also, was passiert in diesem Kurs
überhaupt?« fragte Stephen sie und wedelte ihr mit seinem Evening Standard zu wie mit einem Fächer. Dankbar für den Luftzug lächelte sie. An diesem Abend
gingen sie zum ersten Mal zu einem Geburtsvorbereitungskurs, von dem sie in der
Praxis ihres Arztes auf einem Aushang gelesen hatte.
»Ich weiß nicht so genau«, sagte sie.
»Wahrscheinlich erzählen sie uns was über die verschiedenen Phasen der Wehen
oder so.«
»Aber das wissen wir doch schon
alles«, sagte er, denn sie beide hatten fast alle Bücher über Empfängnis,
Schwangerschaft und Geburt gelesen, die es nur gab.
»Sicher, aber wir gehen nicht dahin,
um etwas zu lernen, sondern um Leute kennenzulernen«, sagte sie zu ihm und
fügte amüsiert hinzu: »Das tut man, wenn man ein Kind bekommt.«
»Wirklich?« Stephen klang, als sei er
durch diese Information etwas beruhigt.
Sie lächelte in sich hinein. Stephen
mochte Regeln, selbst wenn es um etwas so Unvorhersehbares wie das
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