Keine Panik Prinzessin
immer wieder seinen Bagger zeigt –, hörte ich in meinem Kopf nur diesen einen Satz in Endlosschleife: » Würde ungefähr ein Jahr dauern. Oder länger. Aber das ist eine Wahnsinnschance – ein Angebot, das ich nicht ablehnen kann. Würde ungefähr ein Jahr dauern. Oder länger … «
Michael geht nach Japan. Für ein Jahr. Oder länger.
Am Freitag fliegt er.
Ich glaube, das erklärt, weshalb ich mich kurz mal in Ruhe in die Küche setzen musste. Ich meine, in welchem Universum passiert denn bitte so was? Vielleicht im Bizarro-Universum, aber doch nicht in MEINEM. Nicht in dem Universum, das Michael und ich teilen.
Oder von dem ich glaubte, wir würden es uns teilen.
Und noch während seine Worte in meinem Kopf nachhallten – und ich stammelte: »Wow, Michael. Das ist ja echt toll. Ich freu mich total für dich!«, hörte ich eine kleine Stimme in meinem Kopf fragen:
»Hat das was mit MIR zu tun?«
Und irgendwie gelangte die Stimme plötzlich von meinem Kopf in meinen Mund, und noch bevor ich sie daran hindern konnte, hatte sie schon laut »Hat das was mit MIR zu tun?« gefragt.
Michael blinzelte mich verständnislos an und fragte: »Was denn?«
Es war der volle Albtraum. Obwohl ich innerlich die ganze Zeit schrie: »Sag nichts! Sag nichts! Sag nichts!«, gehorchte mein Mund nicht, sondern machte, was er wollte. Denn gleich darauf – ich konnte echt nichts dagegen tun – öffnete er sich und sagte: »Na ja, hat das was mit mir zu tun? Ziehst du nach Japan, weil ich irgendwas gemacht hab?« Und nach einer kurzen Pause fügte mein Mund noch hinzu: »Oder weil ich irgendwas NICHT gemacht hab?«
Am liebsten hätte ich mir sämtliche kalten Sesamnudeln dieser Welt in den Rachen geschoben, um mir selbst das Maul zu stopfen. Aber da schüttelte Michael schon den Kopf. »Natürlich nicht, Mia. Verstehst du nicht, was das für eine irre Chance ist? Die Firma hat ihre Maschinenbauingenieure schon damit beauftragt, nach meinen Plänen Bauteile herzustellen. Das ist mein Entwurf, der da verwirklicht wird. Etwas, das ich entwickelt habe, könnte die moderne Chirurgie für immer revolutionieren. Natürlich möchte ich dabei sein und das miterleben.«
»Aber müssen die das unbedingt in Japan machen?«, fragte mein Mund. »In Manhattan müsste es doch eigentlich auch Maschinenbauingenieure geben. Ich bin mir fast sicher, dass es hier auch welche gibt. Ich glaub sogar, dass Ling Sus Vater einer ist!«
»Mia«, sagte Michael geduldig. »Diese Forschergruppe besteht aus den besten und innovativsten Wissenschaftlern, die es auf dem Gebiet des Roboterbaus derzeit gibt. Das Unternehmen hat seinen Sitz in Tsukuba, das ist praktisch das Silicon Valley von Japan. Dort gibt es Labore und Forschungszentren und die nötige Technik. Also alles, was ich brauche, um aus meinem Prototypen ein funktionsfähiges Modell zu machen. Ich muss dorthin.«
»Okay, du kommst ja zwischendurch zurück«, sagte ich etwas ruhiger, weil mein Gehirn inzwischen – Gott sei Dank! – wieder die Kontrolle über meinen Mund zurückerlangt hatte. »An Thanksgiving und an Weihnachten und in den Osterferien und an allen anderen Feiertagen.« Die Zahnrädchen in meinem Kopf drehten sich in aberwitziger Geschwindigkeit. So schlimm wird es schon nicht werden, tröstete ich mich . Okay, mein Freund wohnt dann in Japan, aber in den Ferien können wir uns ja immer noch sehen. Normalerweise sehen wir uns während des Schuljahrs ja auch nicht so oft, also wird es gar nicht so viel anders sein als sonst. Außerdem hab ich dadurch viel mehr Zeit, mich auf die Schule zu konzentrieren und vielleicht auch mal zu kapieren, wovon Mr Hipskin in Chemie eigentlich die ganze Zeit redet und worum es beim Integral- und Differenzialrechnen überhaupt geht. Vielleicht kann ich mich dann beim nächsten Probedurchlauf für den Uni-Einstufungstest verbessern und in Mathe richtig gut abschneiden und, hey, vielleicht könnte ich doch Schulsprecherin werden und mein Drehbuch schreiben und vielleicht sogar auch noch einen Roman …
In diesem Moment legte Michael den Arm auf den Tisch und griff nach meiner Hand. »Weißt du, der Zeitrahmen für das Projekt ist ziemlich eng. Wenn wir den Roboter so schnell wie möglich auf den Markt bringen wollen, können wir es uns nicht leisten, die Arbeit daran zu unterbrechen. Und … deshalb werde ich an Thanksgiving und Weihnachten nicht nach Hause kommen. Es kann gut sein, dass ich bis zu den nächsten Sommerferien in Japan bleibe. Bis
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