macht weiter
1
An einem sonnigen Vormittag saß Mrs. Pollifax auf dem Boden ihres Wohnzimmers und übte sich sehr intensiv im Lotussitz. Seit mehreren Monaten betrieb sie Yoga. Der Kniekuß gelang ihr schon halbwegs, Rolle rückwärts fast mühelos, und einmal war ihr sogar, von Miß Hartshorne gestützt, ein unsicherer Kopfstand geglückt.
Doch nun rief die Pflicht. Zu Mittag fand eine Versammlung der Umweltschützer statt. Während sie sich erhob, hörte sie draußen Miß Hartshorne ihren Namen rufen. Im nächsten Augenblick klopfte die Nachbarin energisch an die Tür.
Mrs. Pollifax, noch im Trainingsanzug, ließ die Freundin herein. Diese faßte sich heute sehr kurz. »Ich war eben im Weggehen«, rief sie atemlos, »da kommt dieser Eilbrief da für Sie, Emily. Aber Sie sind um diese Zeit ja doch noch nicht mal angezogen...« Ihre Stimme schwankte zwischen Tadel und Nachsicht für die Schwäche ihrer Emily. »Also war ich so frei, für Sie zu unterschreiben.«
Sie drückte ihr den Brief in die Hand und entfernte sich eiligst.
»Vielen Dank«, rief Mrs. Pollifax ihr nach. Dann besah sie sich das Schreiben. Es war in Baltimore, Maryland, abgestempelt worden. Baltimore... dringend... Sofort regten sich in ihr Erinnerungen an ganz bestimmte und geheime Abstecher, die sie gelegentlich für einen gewissen Mister Carstairs unternommen hatte. In zwei Fällen hatte er ihr Baltimore als Deckadresse genannt, und dieses Stichwort war für sie allenfalls ein Grund, aufs äußerste gespannt zu sein. Sie schloß die Tür und riß den Umschlag auf. Der Brief trug den Aufdruck: William H. Carstairs, Anwalt, The Legal Building, Baltimore, Maryland.
»Anwalt, daß ich nicht kichere«, sagte sie halblaut und setzte sich. »Na so was...« Der Brief war nur eine Kopie. An den unteren Rand hatte jemand mit Rotstift geschrieben: Wir brauchen Sie. Was tun Sie am Donnerstag?
Mrs. Pollifax begann den Brief zu lesen.
Sehr geehrter M. Royan, begann er. Bezugnehmend auf unser heutiges Telefongespräch leiste ich hiermit die gewünschte Anzahlung von fünfhundert Dollar für den Genesungsurlaub meiner Schwiegermutter, Mrs. Emily Pollifax...
»Schwiegermutter!« sagte Mrs. Pollifax verblüfft. »Genesungsurlaub?«
... den sie in Ihrem Sanatorium Montbrison verbringen möchte. Sie braucht unbedingt Ruhe und Pflege...«
Das Telefon klingelte. Mrs. Pollifax nahm den Hörer ab, setzte jedoch ihre Lektüre fort. »Ja, ja«, meldete sie sich geistesabwesend... und ich werde ihr raten, sich restlos Ihrer Fürsorge anzuvertrauen. Ich habe mit großer Freude zur Kenntnis genommen...
»Mrs. Pollifax?«
»Am Apparat«... daß Zimmer 113 mit Bad und Blick auf den See für sie reserviert wurde...
»Hier Büro Carstairs. Bitte bleiben Sie am Apparat.« »Aber gern!« rief sie erleichtert und legte den Brief beiseite. Ihr Herz klopfte heftig, denn Brief und Anruf versprachen frischen Wind, Ferien vom Alltag.
Am Telefon meldete sich aber nicht Carstairs, sondern sein Assistent Bishop. »Er ist bereits zum Flugplatz gefahren«, erklärte Bishop. »Er hofft, Sie um zwölf Uhr im Hotel Taft zu treffen. Sollten Sie es nicht schaffen, muß ich ihn am Flugplatz abfangen, aber Sie wissen ja, wie lang man bei diesem Verkehr bis zum Flughafen braucht.«
»Ich habe eben den Brief bekommen und bin dabei, ihn zu lesen.«
»So ein Mist, den hätten Sie schon gestern haben sollen. Ich habe mich noch gar nicht erkundigt, wie es Ihnen geht, Mrs. Pollifax, aber das hole ich später nach. Zuerst muß ich wissen, ob Sie noch heute vormittag nach New York kommen können.«
»Doch, ich denke schon. Lassen Sie mich überlegen. Jetzt ist es halb zehn, und es geht ein Zug um... Ja, zu Mittag kann ich dort sein«, sagte sie. »Wenn ich mich sehr beeile.«
»Dann erkundige ich mich nicht nach Ihrem Befinden«, sagte Bishop. »Sie suche n im Taft sofort Zimmer 321 auf, ohne sich erst an den Empfangschef zu wenden. Das ist uns lieber so. Jetzt bleibt mir nur noch zu hoffen, daß Ihr Telefon nicht angezapft ist.«
»Ja, warum sollte es denn?« fragte Mrs. Pollifax bestürzt.
»Das weiß man nie. Sind Sie in jüngster Zeit irgendeinem Verein beigetreten?«
»Nur der Union für Umweltschutz.«
»Schlimm... Also Zimmer 321«, wiederholte er und legte auf.
»Na so was«, sagte Mrs. Pollifax. Sofort ging sie ins Schlafzimmer, um ihren Trainingsanzug mit einem Kostüm zu vertauschen. »Zerknautscht«, stellte sie ärgerlich fest. Schuld daran waren die vielen Verpflichtungen - Umweltschutz,
Weitere Kostenlose Bücher