Keinen Plan, ein Paar Socken und 1000 km vor sich ...: Der Jakobsweg aus Sicht eines Rheinländers (German Edition)
Einkaufen, der kleine Laden gemäß Auskunft des Hospitalieros ist heute um die Uhrzeit noch geschlossen. Ich suche ihn trotzdem auf, erkenne lediglich an den davor stehenden Kisten, dass es sich um ein Geschäft handelt. Aber er ist wie versprochen geschlossen. Auf Anraten eines Dorfbewohners soll ich einfach klopfen, das wäre schon in Ordnung. Ich habe noch nie an einem nach Wohnhaus aussehenden Geschäft um kurz vor 8:00 Uhr geklopft, um vielleicht doch etwas aus einem eigentlich geschlossenen Geschäft zu kaufen. Bei der Vorstellung, was mir bei solch einem Versuch in Deutschland entgegen springen würde, bin ich gespannt. Im Rheinland würde mir wohl bestenfalls ein Vogel gezeigt, je nachdem auch mehr. Die Tür öffnet sich und ein älterer Herr mit verschlafenem Gesicht und einer Art Bademantel versucht, meine Spanischbrocken neu zu ordnen und für sich grammatikalisch zu einem Sinn zu bringen. Es klappt, er bittet mich herein und ich bekomme alles, was man für ein Picknick auf dem Weg braucht.
Nach knapp zwei Stunden des Wanderns holt uns Jacqueline ein. Sie hat ein ganz ordentliches Tempo drauf, erzählt, dass Martin noch ein ganzes Stück hinter ihr ist. Wir gehen zusammen übereinen weiteren Teil einer alten romanischen Straße. Für meine Füße ist der Weg anstrengend, da die ganze Strecke mit großen Steinen befestigt ist und die Fußsohlen stark beansprucht werden. So bin ich dann auch froh, als wir nach unserem mittäglichen Picknick, zu dem Jacqueline erhebliches Equipment beisteuert, eine weitere Pause in einer Bar einlegen und noch ein Bocadillo vertilgen. Danach bestimmt Jacqueline das Tempo und macht zu ihrem Unmut – nach Aussage Sandy‘s – als Österreicherin die „German Pace“. Das kann sie verständlicherweise nicht unkommentiert lassen. Ergo: Heute sind wir zum ersten Mal „Austrian Pace“ gelaufen. Das ist zwar schnell, aber der Begriff ist mit Verlaub nicht alltagstauglich.
Wir verwenden daher weiter alt Einhergebrachtes und bleiben bei der „German Pace“ als Inbegriff für Schnelligkeit. Nach Aussagen manches Pilgers ist Marschieren in Deutschland so eine Art Volkssport, genau wie Lederhosen zu uns gehören, Kuckucksuhren und Schwarzwälderkirschtorte. Es fehlt eigentlich nur noch, dass man uns die Sachertorte zuspricht. Das wäre dann ein weiterer Schlag ins Gesicht der Österreicher. In Mansillas de las Mullas angekommen, bin ich auch nach den wenigen Kilometern wirklich platt. Der gestrige Tag steckt noch in den Knochen. An der Herberge trennen wir uns von Jacqueline. Sie möchte noch einen Ort weiter, wir lediglich sitzen. In der Herberge – die Hospitaliera hat Siesta – werden wir von Merve dankenswerterweise zu den freien Betten geführt. Alex, unser Brasilianer, hat noch eine Überraschung für uns, als er uns sieht. Er hatte nach dem Desaster mit unserer „Tafel Schokolade auf Brot“ noch irgendwo eingeschweißte Napolitaner aus einem Supermarkt besorgt. Zu viele für ihn allein, also verschenkt er seine beiden letzten freigiebig an uns. Vielen Dank Alex! Ich bin wirklich kaputt, lege mich nachmittags hin, werde aber auch abends nicht mehr fit. Wir gehen mit Martin, der auch wieder auftaucht, Joy aus Kanada und einem australischen Pärchen (Aloise und Tom) essen.
Joy kennen wir von einer Begegnung der besonderen Art auf demWeg nach Santa Domingo. Sandy singt im Verlauf der Wanderung mehrmals den Lumberjacksong von Monty Python, als Persiflage auf die kanadische Bevölkerung. Soweit so gut. Als wir auf besagter Strecke nach Santa Domingo nun die kannadische Flagge an Joy‘s Rucksack sehen sprechen wir sie an. Das Gespräch zwischen den beiden wird kurz zu schnell für mich und ich kann nur halb folgen. Bei der Frage ob wir nicht die „national anthem“ von Kanada singen wollen, deute ich die Vokabel völlig falsch und fange sehr zu Begeisterung Sandy‘s mit dem „Lumberjacksong“ anstatt mit der Nationalhymne an. Joy steht gewissermaßen das Entsetzen über diese Dreistigkeit ins Gesicht geschrieben. Nun ja, ein Missverständnis, was mich seitdem ins Gedächtnis gebrannt hat, und infolge des weiteren Weges wohl auch ins Herz geschlossen. Zurück zum Abendessen: Auch an diesem Abend bin ich einfach zu fertig, um den Gesprächen zwischen den „native speakern“ vollends zu folgen. Insbesondere Tom, der Australier, nuschelt zu allem Überfluss noch. Ich habe diesmal keine Chance, mich wirklich an der Unterhaltung zu beteiligen, schalte auf Status 6 (außer
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