Keinen Plan, ein Paar Socken und 1000 km vor sich ...: Der Jakobsweg aus Sicht eines Rheinländers (German Edition)
einen Tag Pause in Santiago machen, um Kraft zu tanken für die restlichen 93 Kilometer nach Finisterre. Er bietet mir an, um Gewicht und somit Kraft zu sparen, die Cilantroflasche mit nach Santiago zu schicken. Ich gehe dankend auf sein Angebot an. Ich hoffe nur, morgen früh halbwegs fit zu sein. Der Gedanke, die anderen ziehen lassen zu müssen und alleine nach Santiago zu gehen ist alles andere als angenehm. So hülle ich mich wieder in meinen Berg Decken und schlafe einen tiefen und erholsamen Schlaf. Ich habe heute ein weiteres Mal eine Selbstverständlichkeit an Hilfsbereitschaft erlebt, die nicht alltäglich ist und die ich sehr zu schätzen weiß. Ich weiß nicht, was die Leute in den Wochen aus meiner Anwesenheit für Erfahrungen gezogen haben. Aber die Fürsorge und das Miteinander, das ich hier erfahre, ohne den Anspruch auf irgend eine Gegenleistung, ist phänomenal.
15.06.: Arzua – Pedrouzo (19,9km)
Als ich aufwache, sind Sandy und Jacqueline schon fast abmarschbereit. Die anderen stehen auch erst gerade auf. Sandy muss gezwungenermaßen unser Gespött über sich ergehen lassen, als ermit einem turnbeutelähnlichen Rucksack vor uns steht, um die heutige Mammutetappe in Angriff zu nehmen. Aber speziell Alex und ich kennen da nix … no backpack, no pilgrim – tourist! So sind Jacqueline und er auch schon vor dem Frühstück weg, um halbwegs zeitig in Santiago anzukommen. Wir frühstücken noch gemütlich, klären mit dem Hospitaliero, ob es möglich ist, auch etwas länger als bis 8:00 Uhr zu frühstücken – wir sind seit gestern vorsichtig – und bekommen ein klares Ja. So machen wir uns gegen 8:45 Uhr nach Rührei, Cornflakes, Brot, Früchten und Joghurt auf nach Pedrouzo. Ich bin nicht 100% fit, fühle mich aber um Längen besser als gestern. Wir sind sogar sehr erstaunt, um 11:00 Uhr bereits die ersten 10 Kilometer hinter uns gebracht zu haben. Das Tempo hätte ich mir persönlich heute noch nicht zugetraut … und gemerkt haben wir es alle nicht. So bin ich nach der Pause einfach glücklich mit der gesamten Situation. Ich kann wieder wandern, die Familie bereitet mir einen weiteren Tag nette Stunden und das Wetter spielt auch mit. Morgen ist zwar alles vorbei, aber jetzt und hier geht es mir einfach gut und ich genieße den Augenblick.
Bei unserer zweiten Pause überholt uns Catia. Bea ist noch einen Tag hinter uns und Catia hat sich entschieden, ohne sie nach Santiago weiterzugehen und sie erst dort zu treffen. Sie wandert heute lieber alleine. Später berichtet sie, dass ihr ein männlicher Pilger etwas komisch vorgekommen sei und sie sich mit zwei anderen Damen zusammen getan hat. Eine der ganz wenigen negativ behafteten Erfahrungen, die ich auf dem Camino höre. Abgesehen von Gabi‘s gesamtem Leben. Es sind dann doch über die Wochen erstaunlich viele allein reisende Frauen unterwegs. Das hätte ich vor meiner Reise so nicht erwartet. Und ich habe wie erwähnt bis zum Schluss nur wirklich ganz vereinzelt mal gehört, dass sich die ein oder andere aufgrund von männlichen Mitpilgern unwohl gefühlt hat. Wirklich etwas passiert ist dann Gott sei Dank – zumindest was meine Informationen angeht – nichts! Um 15:00 Uhr kommen wir in Pedrouzo an, beziehen Betten inder öffentlichen Herberge und bewältigen ein weiteres Mal die Pilgerpflichten. Wir wollen ein letztes Mal als Pilger vor Santiago zusammen kochen. In der Küche sind die „Werkzeuge“, aber auch die Teller und Besteck nur begrenzt vorhanden und wir sammeln das Benötigte zusammen. Wir haben keinen wirklichen Hunger auf Nudeln, die gab es schließlich häufiger. Also entscheiden wir uns für frisches Kartoffelpüree, Chorizo und Gemüse. Als Nachtisch gibt es für jeden eine zünftige Portion Eis. Der Aufwand muss sich ja lohnen. Ein Zitat, das mir dazu aus einer der Wachabteilungen einfällt: „Es gibt nur zwei Zustände im Leben, entweder Hunger oder Schlecht!“ Wir haben wieder einmal zuviel gekocht, schaffen aber schließlich nach einigem Hin und Her was die Portionierung angeht doch alles. Gesund ist es allerdings nicht, kurz vor dem Schlafengehen solche Portionen zu vertilgen. Aber wer macht schon alles richtig? Das Highlight des Tages sind übrigens die Duschen in der Herberge. Dass es auf diesem nun doch katholischen Weg und seinen Institutionen keine Geschlechtertrennung bei den Schlafräumen gibt, war seit Hape‘s Wegbeschreibung irgendwo zu erwarten. Dass es Gemeinschaftswaschräume und -toiletten gibt, daran
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