Keiner kuesst so heiß wie du
überhaupt keinen Sinn. Du hast doch gar keinen Grund gehabt, Dad umzubringen. Schließlich wusstest du genauso wenig von Angela und ihren Söhnen wie wir“, widersprach er verbittert. „Ich wünschte, keiner von uns hätte es jemals erfahren.“
Sie zog ihre Hände zurück und legte sie auf den Schoß. „Ich muss dir etwas gestehen, RJ.“
Er sah sie mit großen Augen an. „Was?“ Würde sie ihm nun sagen, dass sie seinen Dad getötet hatte? Ihm wurde schlecht.
„Ich habe von Angela gewusst.“ Ihr Blick war klar, ihr Ausdruck gefasst. „Ich habe es schon vor Jahren erfahren. Als ich einmal etwas aus der Schublade seines Schreibtischs nehmen wollte, habe ich dort eine frühe Version von Reginalds Testament entdeckt.“
RJ schluckte. „Wieso hast du nie etwas gesagt?“
„Nach einigen Auseinandersetzungen zwischen deinem Vater und mir hat er mich überzeugt, dass es der Familie wegen besser sei, bei uns zu bleiben. Sein Ansehen, ich an seiner Seite, du weißt ja, wie wichtig das alles für ihn war.“ Sie fuhr sich übers Haar. „Und für mich auch.“
Ebenso fassungslos wie fragend kniff er die Augen zusammen. „Dann hast du also Woche für Woche mit uns am Esstisch gesessen und es gewusst?“
Fast unmerklich neigte sie mit schmerzverzehrter Miene den Kopf. „Dein Vater und ich waren eine sehr lange Zeit miteinander verheiratet. Wir hatten eine gemeinsame Geschichte. Und vielleicht war die zu groß, um sie für eine Affäre, die schon Jahre zurücklag, wegzuwerfen.“
„Aber diese Affäre war doch gar nicht zu Ende, soweit ich das verstanden habe.“
Er sah, wie seine Mutter schluckte. „Das stimmt. Reginald hat Angela geliebt.“ Es kostete sie sichtbar Kraft, seinem Blick standzuhalten. Am liebsten wäre er jetzt aufgestanden und hätte sie umarmt. Doch ihre strenge Haltung ermahnte ihn sitzen zu bleiben. „Aber er hat auch mich geliebt.“ Sie lächelte. „Er war eben ein Mann mit einer Menge Liebe in sich.“
„Das kann man natürlich so sehen, obwohl ich meine eigene Meinung dazu habe.“ Als er bemerkte, dass er die Hände zu Fäusten geballt hatte, löste er sie wieder. „Ich weiß aber, dass du ihn nicht getötet hast.“
„Natürlich habe ich das nicht. Doch die Polizei und das Gericht wissen das nicht, und ich habe kein Alibi.“
„Wir müssen herausfinden, wer es getan hat. Hast du einen Verdacht?“
Sie schüttelte den Kopf. „Vertrau mir, wenn ich auch nur die leiseste Ahnung hätte, würde ich es jeden wissen lassen.“
RJ schaute sich in dem trostlosen Raum um. „Das hier ist der reinste Albtraum.“ Dann erinnerte er sich wieder daran, dass er ihr etwas mitgebracht hatte. „Ich habe einige Bücher für dich. William Faulkner, Flannery O’Connor. Lily hat mir gesagt, du hättest gerne etwas leichtere Lektüre, doch ich war mir nicht so sicher. Sie haben sie unten mit dem Metalldetektor geprüft. Aber wenigstens kann der rasiermesserscharfen Humor nicht erkennen.“
Sie lächelte und blickte in die Papiertüte, die er ihr hinhielt. „Du bist so aufmerksam, RJ. Und du hast absolut recht, im Moment lese ich lieber etwas über Schicksale, die noch dunkler sind als meins.“
Brookes Hände zitterten, während sie ihren Sicherheitsgurt im Privatjet der Kincaids festzog. „Hätten wir nicht mit dem Wagen fahren können?“, fragte sie, während sie RJ flehentlich ansah.
Automatisch erwachte in RJ der Beschützerinstinkt, und er nahm ihre Hand. „Es ist viel zu weit bis Gatlingburg, Tennessee. Keine Angst.“ Es war merkwürdig, die immer souveräne Brooke plötzlich so nervös zu sehen. Er drückte ihr sanft die zitternden Finger, um sie zu beruhigen. „Wenigstens haben wir einen richtigen Piloten. Mein Dad ist oft selbst geflogen. Obwohl er immer behauptet hat, beim Militär geflogen zu sein, habe ich nie einen Pilotenschein gesehen.“
„Wie gruselig!“
„Ziemlich. Ich habe sogar mit dem Gedanken gespielt, einen Pilotenschein zu machen, für den Notfall. Einmal sind wir in einen Sturm geraten, doch Dad hat die Situation gemeistert.“ Ein Anflug von Traurigkeit überkam ihn. Noch immer konnte er nicht glauben, dass er seinen Dad nie wiedersehen würde.
„Jetzt fühle ich mich nicht gerade besser.“
„Es ist alles in Ordnung.“ Er legte ihr einen Arm um die Schultern und sog ihren dezenten Blütenduft ein. Nicht mehr lange, und sie wären allein in den Bergen. Die frische Luft dort würde ihnen beiden guttun. Er konnte es kaum erwarten, endlich ihr
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