Keinmaerchen
obwohl sie so blass sind. Du dachtest, meine Albe wären gut, sagt sie. Perfekt. Aber sie sind Spielzeug, genau wie deine. Sie sind wertlos. Scheiße. Sie sagt Scheiße, als wäre sie direkt hineingetreten.
Nein, sage ich. Das stimmt nicht. Sie sind –
Sei still, sagt sie. Sei still und arbeite weiter.
Und du?, frage ich. Was willst du machen?
Nichts, sagt sie und ihre Lippen werden noch blasser. Noch weißer. Fast sieht es aus, als käme das Weiß aus ihnen heraus.
Sie liegt neben dem Stuhl. Mit angezogenen Beinen, den Kopf auf den Unterarmen. Ihr Atem klingt wie das Schnaufen einer Lokomotive. Ihr Haar fühlt sich kraftlos an. Du darfst nicht aufgeben, sage ich.
Warum?, fragt sie.
Warum. Jetzt spüre ich wieder das Feuer hinter meinen Augäpfeln. Weil ich Angst habe, will ich sagen. Weil ich Angst davor habe, was ich schaffen könnte, wenn die Angst noch größer wird. Ich weiß nicht, sage ich. Ich weiß es nicht.
Ich schäle den Alb aus dem Holzscheit. Spüre, wie er zappelt und schließe meine Hand fester um seinen dürren Körper. Er keucht. Ich sehe sie an. Nur sie. Sehe die Adern unter ihrer Haut, Muskelgewebe, Sehnen. Ihre Lungenflügel blähen sich auf und fallen zusammen. Ihr Herzschlag. Und dann zittert sie.
Der Alb gleitet aus meiner Hand und schlägt sich den Kopf auf dem Fliesenboden auf. Er flucht und schleppt sich auf Händen und Ellbogen zur Tür. Seine Beine sind noch nicht fertig, sie stecken noch tief im Holz, kratzen und schaben über den Boden. Er starrt sie an und ich kann es in seinen Augen sehen. Angst. Er hat Angst, genau wie ich.
Warum sind sie eingeschlossen?, frage ich. Warum sind sie in Holz und Stein gesperrt? Oder in Töne?
Sie richtet sich auf. Beobachtet den Alb, zuckt mit den Schultern. Waren sie das denn nicht immer schon? Hol ihn zurück. Er ist noch nicht fertig.
Er beißt in meine Hand und ich drücke ihm den Hals zu. Es wäre ganz leicht.
Lass das, sagt sie, du machst ihn kaputt.
Kaputt. Er atmet. Ich spüre seinen Atem auf meiner Haut. Er lebt, sage ich. War dir klar, dass sie leben? Natürlich war das klar. Ich habe ihren Herzschlag gespürt. Schon oft. Aber sie leben. Sie haben Angst. Wenn sie Angst haben, vielleicht können sie dann auch lieben?
Glaubst du das wirklich? Du hast sie doch gesehen. Die großen, die besonderen. Und du hast in ihre Augen gesehen.
Ja, sage ich, und ein Frösteln schüttelt meinen Körper. Da war keine Liebe, nur Angst. Aber war es ihre Angst oder meine?
Du fragst zu viel.
Willst du denn gar nichts über sie wissen? Willst du nicht wissen, was für Kreaturen das sind? Wir machen immer mehr von ihnen. Warum? Zu welchem Zweck? Warum drehen sie die Räder? Was soll das alles?
Sie presst ihre Hände auf die Ohren und schüttelt den Kopf. Hör auf damit, sagt sie. Ich will keine Fragen hören. Verstehst du das denn nicht?
Nein, das verstehe ich nicht. Erklär es mir.
Ich kann nicht. Sie nimmt das Cello, legt die Stirn an den Korpus. Mach ihn fertig. Gib ihm seine Beine. Bitte.
Sie hat recht. Er faucht, als ich das Messer ansetze, zuckt, als die Klinge beginnt das Holz von seinen Gliedern zu schälen. Warum habe ich das vorher nie bemerkt? Warum habe ich nie bemerkt, dass sie leben?
Sie spielt. Leise. Vorsichtig. Ganz vorsichtig bewegt sie den Bogen über die Saiten. Die Töne kommen ängstlich und zitternd aus dem Instrument. Und dann kommen die Albe. Ich muss meinen mit beiden Händen festhalten, so sehr wehrt er sich, als die Töne anfangen sich zusammenzusetzen. Aus fahrigen Konturen werden Körper. Hörner und Flügel, Krallen und blitzende Augen schälen sich aus den zittrigen Tonfolgen. Sie sehen furchtbar aus. Schlimmere hat sie noch nie gemacht. Ihre Angst sitzt an keinem bestimmten Punkt, sie hüllt sie ein, als glühten sie von innen heraus und könnten jeden Moment explodieren. Ich kann nicht hinsehen. Ich muss hinsehen. Unwillkürlich setzt das Messer seine Arbeit fort. Das Knurren meines Albs vermischt sich mit der eintönigen Melodie, die gar keine Melodie ist. Sie spielt kein Lied, sie spielt reine absolute Angst. Aber sie weiß es nicht. Ihre Augen sind geschlossen, ihre Haltung ist entspannt, als würde sie schlafen. Über ihre Haut zieht sich ein Farbschimmer. Kaum zu sehen. Aber er ist da, ganz sicher. Sie wird stofflicher. Sie kehrt zurück. Ein bisschen von ihr kehrt zurück.
Ich lecke Blut von meinem Finger und packe den Alb noch fester. Der letzte Span fällt auf den Boden. Leicht und schwankend wie eine
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