Keinmaerchen
das ist typisch für den Verlauf und kein Grund zur Freude. Nach dem Hoch kommt unweigerlich ein tiefer Fall. Immer. Vielleicht sein letzter.
Falls seine gute Verfassung anhält, könnte ich noch einmal versuchen, mittels Hypnose in seinen Geist vorzudringen. Möglicherweise könnte ich noch einige Erkenntnisse über die Zusammenhänge von tatsächlichen und künstlich geschaffenen Erinnerungen … Blödsinn. Unnötig und dumm. Ich sollte endlich einsehen, dass es vorbei ist.
Erin
Endloser Tag. Die Angst wächst und frisst und wächst und frisst. Das ist nicht das, wonach ich gesucht habe. Nicht das. Und auch nichts anderes. Alice schweigt. Nicht einmal ihre Augen suchen noch meinen Kontakt. Ihre entfärbten Augen. Ihre Haut ist wie der Marmor. Kaum von dem Alb zu unterscheiden, den sie aus dem Stein schält. Seine Augen rollen in den Höhlen und er knurrt und krampft und wehrt sich gegen die Hammerschläge.
Gestern wollte ich weg und heute will ich das immer noch. Es hat sich nichts verändert. Gar nichts. Die Albe entstehen und er nimmt sie mit sich. Und neue entstehen und wieder neue. Immer wieder. Will ich zurück? Will ich das? Oder was sonst? Was, verdammt!
Bist du fertig?, fragt er. Leg den Alb in die Luke. Mach schon!
Was ist los?, frage ich. Warum die Eile? Bist du hungrig?
Hungrig?, fragt er.
Du nährst dich von ihnen, sage ich. Du nimmst sie mit und nährst dich von der Angst. Aber sie sättigt dich nicht, weil sie nicht dir gehört. Es ist meine. Unsere. Nicht deine.
Er lacht. Aber es klingt nicht wie Lachen. Du hast es immer noch nicht verstanden, sagt er. Du willst es nicht verstehen und deshalb wirst du nie etwas Besonderes schaffen. Deine Albe sind besser geworden, sie sind gut. Aber sie werden nie besonders sein.
Hau ab, sage ich. Hau doch ab.
Ich kann mich erinnern. Ich kann mich daran erinnern, wie es war zu weinen. Ich kann mich daran erinnern. Aber ich weiß nicht, wie es sich anfühlt. Meine Hände zittern schon lange nicht mehr. Das Messer tut seine Arbeit von selbst. Hör auf zu heulen, hat sie gesagt. Sie. Ausgerechnet sie, die ganze Körbe vollgeheult hat. Ich trage den Beutel voll Diamanten immer noch bei mir. Vielleicht ist es das Gewicht der Steine, das mich auf dem Boden hält. Vielleicht sind es Alice’ Augen. Oder die Celloklänge, die zu uns herüberwehen, wenn er vergessen hat, die Tür zu schließen.
Der kleine Junge hat aufgegeben. Sein Platz ist leer. Nur auf dem niedrigen Tisch klebt noch etwas Knete. Als ich aufgewacht bin, war er weg. Einfach so. Wo ist er hin?, frage ich. Wo hast du ihn hingebracht?
Er ist zurückgegangen, sagt er.
Lügner! Er wäre nicht zurückgegangen. Nicht freiwillig. Und was ist mit den anderen? Wo sind sie hin? Es werden weniger. Von Tag zu Tag. Fast hätte ich es gesagt: Von Tag zu Tag. Aber es ist nur einer. Immer der Gleiche. Meine Augen schmerzen. Das Weiß brennt sich fest in ihnen und da ist nichts, an dem sie sich festklammern könnten. Weiß. Überall. In mir drin ist es weiß. Nicht mehr lang und ich werde im Weiß ertrinken. Ganz tief in mir und ganz allein.
Das wolltest du doch, sagt er. Das wolltest du doch immer schon.
Ja, sage ich. Ja. Aber ich wusste nicht, dass es so sein würde. So gewaltig. So endlos.
Endlos?, fragt er. Nichts ist endlos.
Ja, das ist es. Weiß und endlos. Sie hatte rotes Haar. Ich wünschte, ich könnte – Verdammt, warum machst du das?
Ich mache gar nichts, sagt er. Hör auf damit. Hör auf und arbeite. Oder willst du zurück? Dann bringe ich dich zurück, jetzt gleich! Geh zurück und setz dich in deinen Keller. Versteck dich hinter der Augenbinde und warte.
Du kannst mich! Einen Scheiß werde ich tun. Nimm den Alb und gib mir ein neues Stück Holz. Mach schon, du kleiner Scheißer!
Du bist ein merkwürdiges Kind, sagt er. Aber das weißt du ja. Stell den Alb in die Luke und such dir dein Holz selbst.
Ich finde ein besonderes Stück, sage ich. Ein ganz besonderes. Ich weiß, dass es da ist.
Natürlich, sagt er. Natürlich ist es da.
Natürlich ist es nicht da. Es war gestern nicht da und ist auch heute nicht da. Und es wäre auch morgen nicht da, wenn es ein Morgen gäbe. Aber ich schnitze weiter. Weiterweiterweiter. Sinnlos. Ich könnte aufgeben. Wie der kleine Junge. Aufgeben kann nicht so schwer sein. Was kann schon passieren? Ich würde mich auflösen. Im Weiß. Vielleicht würde ich ein Teil des Weiß werden. Ich würde leuchten und blenden und die Kinder würden ihre Augen
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