Kerker und Ketten
Helle in seine Augen. Zuerst wußte er nicht recht, ob er wachte oder träumte. Dann aber hörte er einen spanischen Fluch. Ojo mußte ihn ausgestoßen haben.
Michel wollte sich aufbäumen und wehren. Aber er konnte sich kaum rühren. Nervige Fäuste hielten ihn nieder.
Die Fackeln im Zelt vermehrten sich. Und ihr Licht tauchte alles in einen hellen Schein. Er konnte jetzt die Gesichter unterscheiden. Sein Blick streifte die verbissene Fratze Aisads. Dann traf er den Bej, dessen Grinsen Michels Blut in den Adern gerinnen ließ.
Er wollte protestieren. Aber dann zog er es doch vor zu schweigen. Er schloß die Augen, damit er nicht in die widerlichen Gesichter zu sehen brauchte. Ekel vor den Menschen würgte ihm in der Kehle. In diesem Augenblick nahm er sich vor, kein einziges Wort mehr zu reden, bis er wieder frei war. Zu seiner Verteidigung würde er den Mund ohndies nicht öffnen dürfen. Und um den Gewalthabern auf ihre Fragen zu antworten, war er zu stolz. Er nahm mit ziemlicher Sicherheit an, daß man vorläufig nicht vorhatte, ihn in die Gefilde des Paradieses zu befördern.
Der Tyrann und sein Gefolge interessierten sich augenscheinlich nur für seine Muskete. Durch den Schlitz seiner Augenlider sah er, wie sie das Gewehr beim Licht der Fackeln untersuchten. Das dauerte eine ganze Weile. Dann zuckten sie die Schultern, und der Bej trat dicht zu ihm und versetzte ihm einen Tritt.
»He, du Hund, wach auf! Sonst lasse ich dich wachprügeln!«
Michel schlug die Augen auf und sah den Herrscher von Ifrikija verächtlich an.
»Sprich«, befahl der Bej, »erkläre uns die Handhabung des Gewehrs!«
»Solange mein Körper gefesselt ist, ist auch mein Geist nicht frei«, antwortete der Pfeifer gleichmütig.
»Ich lasse dich in das tiefste Gefängnis der Kasbah werfen, wenn du nicht redest.« »Meinetwegen kannst du mich totschlagen. Ich spreche, wenn es mir paßt. Glaubst du im Ernst, daß ich mich vor deiner Tyrannei fürchte?«
Ein neuerlicher Tritt traf ihn. Der Bej wandte sich wieder an Aisad und flüsterte mit ihm. Da betrat unerwartet der Pascha das Zelt. Er erstarrte, als er die Szene sah, die sich seinen Blicken darbot. »Was geht hier vor?« »Wir mußten deine Freunde in Fesseln legen, Hammuda Pascha«, begann Aisad mit heiserer Stimme. »Weshalb?«
»Wir brauchen das Geheimnis des Gewehrs. Freiwillig will er es nicht preisgeben. Also müssen wir ihn zwingen.«
»Gib ihn sofort frei! Sofort, sage ich! Ihr habt das Zelt des Bej beschmutzt. Man darf die Gastfreundschaft nicht brechen.« Sein Vater schaltete sich ein.
»Genug, Hammuda, noch bist du nicht der Herrscher! Hier befehle ich! Wir haben Abu Hanufa und seinen Freund in Fesseln gelegt, weil sie Verrat an uns und ganz besonders an dir begangen haben. Wie konnte Abu Hanufa es wagen, das Geheimnis seiner Büchse vor mir, dem Herrscher aller Gläubigen, zu wahren! Das ist Verrat am Propheten und kein Beweis seiner Freundschaft für dich.«
Hammuda biß sich auf die Lippen. Gegen den Willen seines Vaters konnte und durfte er nichts unternehmen, wenigstens nicht offiziell. Und Aisad, der gefährlichste Mann im Staat, schien den Pfeifer mit aller Macht zu hassen.
Angeekelt wandte Hammuda sich ab und verließ das Zelt. Er war jung und Idealist. Er glaubte noch, was man sagte, auch in der Politik. Ehre und Recht waren für ihn keine leeren Begriffe. — Michel und Ojo blieben bis zum folgenden Tag im Zelt. Früh, vor dem Aufbruch, fesselte man sie auf ihre Pferde. Der Zug setzte sich in Bewegung. Und als Tunis erreicht war, warf man sie einfach in den Kerker unter dem Palast. Glücklicherweise kamen sie zusammen in eine Zelle. »Bin gespannt, wann sie uns den Kopf abschlagen werden«, sagte Ojo. »Gar nicht, amigo.«
»Weshalb seid Ihr so sicher, Senor Doktor?«
»Sie wollen wissen, wie man mit meiner Muskete schießt. Wenn mein Kopf ab ist, kann ihnen niemand mehr den Mechanismus erklären.«
»Meint Ihr wirklich, daß das ausschlaggebend ist?«
»Ja, davon bin ich überzeugt.«
Ojo schwieg. Aber lange hielt er es nicht aus.
»Ihr hättet nicht gedacht, daß unsere Suche nach der Gräfin ein so schnelles Ende finden würde, nicht wahr?«
»Es hat kein Ende gefunden. Wir suchen weiter.« »Vorläufig sitzen wir fest, Senor Doktor.«
»Vorläufig. Aber dieser Zustand kann sich ändern.«Es ging ihnen, was das leibliche Wohl betraf, nicht schlecht im Gefängnis. Erstens war der Bej darauf bedacht, daß sie am Leben blieben, bis er das Geheimnis
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