Kerrion 3 - Traumwelt
Kindheit im Hochgebirge bestehen?
Es war eigentlich nicht so, daß der junge Mann schon an Kinder dachte. Er hatte diesen Gedanken vielmehr bisher verbannt. Er wollte mit Ina als Liebespaar leben. Sie genügte ihm, und sie hatte ihm vielfach versichert, daß auch er ihr genüge, sie brauche niemanden sonst, wolle niemanden sonst sehen und betrachte es als einen besonderen Glücksumstand ihrer Ehe, aus dem gesellschaftlichen Betrieb zuhause endgültig herausgezogen zu sein. Aber da war nun diese Sandkiste - hätten die Kinder, denen sie gehörte, darin gesessen, wären ihm eigene Kinder nicht in den Sinn gekommen. Kleine Kinder mit ihrem egoistischen Geschrei waren ihm ein Graus, und noch mehr befremdete ihn die Veränderung, die in seinen Studiengenossen vor sich ging, wenn sie, wie in drei Fällen geschehen, Väter geworden waren.
Was die leere Sandkiste im Schatten der Kastanie ihm sagte, lag dabei gar nicht so fern. Wenn Ina nun wirklich zunächst hier in Frankfurt mit ihrem kunsthistorischen Magister keine passende Tätigkeit finden würde - und was sollte das wohl für eine sein, es wurde auch kaum davon gesprochen, denn allein die Magisterarbeit war ein langjähriger Albtraum für alle Menschen in Inas Umkreis gewesen, und an ein Danach dachte niemand -, warum sollte sie die geschenkte freie Zeit nicht mit einem Kind zubringen? Er ging langsam zum Fahrrad zurück und studierte am Briefkasten angelegentlich die Namen der Bewohner, als schließe sich der Charakter des Hauses anhand dieser Namen auf. Im Weiterfahren sah er an der Ecke den hübschen Wirtsgarten eines italienischen Restaurants mit großen Veroneser Marktschirmen. Dort saßen Frauen in Sommerkleidern, und dort würde er sich sehr gern mit Ina niederlassen, an einem heißen Abend wie diesem. Ihm war, als werde Frankfurt immer in solche Hitze getaucht sein, als habe jede Entscheidung bei der Suche nach einer Wohnung mit solch einer außergewöhnlichen Hitze zu rechnen.
Der Park, an dem er jetzt vorüberfuhr, war vernachlässigt und ächzte förmlich unter der Last des Sommers. Er war jetzt verlassen bis auf ein paar junge Männer, die mit Bierdosen in der Hand auf den Lehnen der Bänke saßen und mit wiegenden Köpfen einer Musik aus ihren Kopfhörern lauschten, aber die Grasflächen waren so früh im Jahr schon niedergetrampelt und ausgetrocknet, und die Papierkörbe quollen über von Abfällen; wieviele Picknicks waren hier den Tag über abgehalten worden?
»Immerhin, ein schöner kleiner Park in nächster Nähe«, dachte der junge Mann. Ein Park mußte sein. Keinesfalls kam eine Wohnung ohne nahegelegenen Park in Frage. Vielleicht könnte er Ina überreden, morgens früh mit ihm um diesen Park herumzutraben? Bisher wäre ihm ein solcher Gedanke nicht eingefallen, aber jetzt sah er vor sich, wie genußvoll und vernünftig sie hier wohnen würden. Dazu die Nähe zur Innenstadt. In diesem ganzen Viertel, das er mit seinem Fahrrad durchzog, hatte er bis jetzt noch überhaupt keine scheußliche Straße gefunden, und woraus bestand schließlich die von seiner Schwiegermutter so drohend und abschätzig beschworene »scheußliche« Stadt? Doch wohl aus ihren Straßen. Das würde er ihr beim nächsten Mal sagen, nahm er sich vor und dachte nicht an jenen blanken und undurchdringlichen Bück, den sie auf jeden warf, der ihr widersprach.
Offener und bereitwilliger als der junge Mann konnte ein Mietinteressent also nicht sein. Der Angestellte des Maklerbüros, der ihn in dem großen Mietshaus hinter dem Park erwartete, durfte sich glücklich schätzen. Das Viertel gefiel dem jungen Mann so gut, daß die Beschaffenheit einer möglichen
Wohnung schon beinahe gleichgültig war, wenn sie nur in dieser Gegend lag.
Das Treppenhaus sah noch ordentlich aus, nur waren die Treppenstufen mit graugesprenkeltem Linoleum belegt. Aber die Wohnung war in einem finsteren Zustand. Dies war ein stattlicher Jugendstilbau, mit vielen erhaltenen Details, schönen Türgriffen etwa, aber sonst hatte man alles getan, um die Wohnung gegen ihren Strich zu bürsten. In den beiden zur Straße hinausgehenden Zimmern klebte ein grasgrüner Teppichboden. Schmutzige Fußpfade durchzogen diese Kunst-stoff-Flor-Savanne. Die Wände hatte man blutrot gestrichen, Glühbirnenlicht fiel kalt und grausam auf Flecken und Risse. Das Badezimmer war ein enger Schlauch, aber hier wußte der Makler Rat: Man würde nur eine Mauer versetzen und von dem Nachbarzimmer einen Meter abknapsen müssen, und
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