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Kerrion 3 - Traumwelt

Kerrion 3 - Traumwelt

Titel: Kerrion 3 - Traumwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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gründerzeitlichen Spekulantenbaus. Der Hauptbahnhof, der nicht weit im Rücken des Hauses lag, war hier schon spürbar, längst vergangene Lokomotivenrußigkeit blieb hier noch vorstellbar. Das eigentliche große Hurenviertel lag auf der anderen Seite der vierspurigen Trasse, schon geradezu ein Stück Stadtautobahn, die dem Haus, vom Bahnhof zur Mainbrücke führend, gleichsam über die Zehen fuhr. Mit Basel hatte der Platz nicht das geringste zu tun. Es war bei der Benennung dieser städtischen Anlage, die »Platz« im eigentlichen Sinne gar nicht heißen dürfte, schon völlig willkürlich vorgegangen worden; ohne Rücksicht auf alte Orts- oder Flurnamen hatte man diesem Unort durch die Benennung den Anstrich falscher Weitläufigkeit gegeben. Die Stadt bröselte hier regelrecht auseinander. Es war, als habe sich in der Mitte der freien Fläche, die von der Autobahn eingenommen wurde, eine geologische Verwerfung ereignet, die die Häuserzeilen links und rechts der Fahrbahn gleichsam wegkippen ließ. Unten im Haus befand sich ein Schnellimbiß mit Namen »Lalibella«, der von einem Äthiopier geführt wurde. Vorn brauste Verkehr, aber wenn man um das Haus herum in den Hof gelangte - dort war auch die Eingangstür -, herrschte plötzlich Ruhe. Nur ein Rauschen blieb, jenem Meeresrauschen verwandt, das Seereisende nach Wochen an Bord bei ihrer Rückkehr aufs Festland sogar vermissen. Ein erster Blick auf das Haus hätte dennoch genügen müssen. Die Vorstellung, mit Ina, einer Tochter der Frau von Klein, hier einzuziehen und ihr dieses Haus als tägliche Umgebung anzubieten, war, gelinde gesprochen, abwegig.
    Wo sollte zum Beispiel für das Tägliche eingekauft werden? Dort drüben, diese Antwort fiel leicht. Ein pakistanischer Gemüseladen präsentierte seine Auberginen und Tomaten schön geordnet am Rand des Verkehrsgebrauses. Wesenlos, raumlos und häßlich-frostig sah es hier auf den ersten und zweiten Blick aus, aber dann sah man, daß sich die menschlichen Ameisen überall in Ritzen und Spalten der toten Gebäude kleine Lebensräume geschaffen hatten; die philippini-sehe Wäscherei, der bengalische Zeitungskiosk, das TattooStudio, das islamische Reisebüro - Spezialität: die Hedschra nach Mekka und Medina -, das libanesische Restaurant mit dem draußen groß angekündigten »All you can eat«-Sonntags-frühstück-Angebot.
    Die seefahrenden Völker des Mittelmeers hielten einst den Blick nicht auf das Hinterland ihrer Häfen, sondern auf die Gegenküsten gerichtet und überspannten leicht mit ihren Gedanken den Meeresleerraum, der sie von den dort liegenden Häfen trennte. So wurden für die hier Wohnenden wohl auch die vier Fahrspuren, die den Platz unheilbar auseinanderrissen und ganz und gar ausfüllten, nach kurzem unsichtbar, weil sie die andere Straßenseite mit den dort eingenisteten Geschäftchen und Souterrain-Lokalen im Auge behielten und Techni--ken entwickelt hatten, schnell auf die andere Seite zu gelangen. Mit Kinderwagen wäre das freilich schon ein gewagteres Unternehmen gewesen, aber an Kinderwagen und Sandkisten dachte der junge Mann auf einmal überhaupt nicht mehr, dafür war der Gedanke an Frau von Klein gewichtig: Daß sie es unzumutbar finden würde, hierherzukommen, war womöglich das beste Argument, die Dachwohnung aus der Zeitungsannonce wenigstens einmal anzusehen.
    War es nicht beinahe schon schade, daß das grelle Hurenviertel mit bunten Lichtreklamen und Eckenstehern und Betrunkenen hier kaum mehr zu ahnen war? Am Baseler Platz herrschte schon technische Blässe, Niemandslandluft. Der Hausverwalter war Marokkaner, wie aus der Visitenkarte hervorging, die er dem jungen Mann überreichte. Als »conseiller trésorier« eines marokkanischen Heimatvereins wurde er darauf bezeichnet. Der Mann war wohl über fünfzig, mit rundem Bauch und kraftlosen Löckchen im Nacken, Geierflaum, den er nußbraun gefärbt hatte. Trotz der Hitze trug er einen Pullover und einen roten Kaschmirschal, den er nach Art des sattsam bekannten Lautrec-Plakats lässig um den Hals gelegt hatte. Er komme aus dem Keller. Der Keller sei kühl, nein, nicht kühl, kalt. Man könne sich im Keller eine Lungenentzündung holen, sagte er eindringlich, während seine braunen Augen mit den langen Wimpern den jungen Mann ungewöhnlich hemmungslos musterten. Dem war, als spüre er diese Blicke wie das Wandern von dicken Fliegen auf dem Gesicht. Sei er der Mann, der angerufen habe? Der junge Mann nannte seinen Namen.
    »Ah,

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