Kerrion 3 - Traumwelt
ihn in den Schoß nahm und festhielt. Auf ein Zeichen der Schwarzen verstummte die Kapelle. Die Ärgerliche erwachte aus ihrem Krampf, ließ sich aufhelfen und zu ihrem Stuhl führen. Dort starrte sie vor sich hin. Jetzt kümmerte sich niemand mehr um sie. Erleichtert schien sie nicht. Es war, als hätte sie in ein finsteres Loch gesehen und müsse sich erst wieder an das Licht gewöhnen. Der Ärger war verschwunden, ein tiefsinniges Fragen war an seine Stelle getreten, ein Ausruhen am Straßenrand nach einem Unfallschock hätte so aussehen können.
Als die Musik wieder anhob, wurde eine schlanke Frau mit fest bandagiertem Kopf in den Kreis geschoben. Niemand schien gern tanzen zu wollen. Alle mußten sich offenbar dazu überreden lassen, nachdem sie doch Bescheid wußten, was sie erwartete, aber der Anordnung der blaugewandeten Schwarzen widersetzte sich niemand lange. Die Bandagierte löste ihren weißen dünnen Schleier. An ihren Schläfen klebte das zusammengedrückte hennarote Haar, aber ihre Augen waren aquamarinblau und groß. Sie war sehr weißhäutig und hatte trotz ihrer Schlankheit ein kindlichzartes Doppelkinn, Magerkeit und lieblicher Speck schlossen sich bei ihr nicht aus. Sie blickte ängstlich auf die Schwarze, die ihr ermutigend zunickte und die Männer der Kapelle anwies, sie in engem Kreis zu umgeben. Das Mädchen steckte in einem Lärmgefängnis. Man glaubte, ihre Bewegungen seien Fluchtversuche, sie strebe den Kreis zu durchbrechen, um wieder auf ihren Stuhl zu gelangen, aber in Wirklichkeit waren das schon die Krämpfe, die sie übergangslos in Besitz genommen hatten. Sie warf ihren Körper herum, sie breitete die Arme aus, als versuche sie einen taumelnden Flug, sie öffnete den Mund, als wolle sie schreien, aber nicht einmal ein Röcheln war zu hören, jeder Laut wurde von den immer wilder trommelnden und singenden Männern niedergehalten, bis auch sie zusammenbrach, und diesmal war das Hinzustürzen der Frauen zu der sich am Boden Winden--den wie das von Feindinnen, als sollten ihr dort unten die Haare ausgerissen und die Augen ausgekratzt werden. Auch sie kehrte benommen wie nach tiefem, bösem Traum auf ihren Platz zurück, auch von ihr wandte man sich ab wie von einem Menschen, dessen Unglück zu groß ist, als daß man ihn trösten könnte.
Souad löste keinen Augenblick den Blick von ihr. Er trank diese Ekstasen mit einer Hingabe, die selbst das Telephon nicht hätte steigern können.
»Die habe ich hierher gebracht«.
Aber nun erhob sich, ohne erst genötigt werden zu müssen und mit einer Duldermiene, die sich in die Mißhelligkeiten des Lebens zu schicken wußte, eine tonnenartige Frau mit einem Gesicht, in dem alles übergroß war. Auf ihrem Hinterteil stand der Oberkörper wie auf einem gemauerten Piedestal. Sie agierte gleichsam auf der Basis eines von ihrem Körper unabhängigen Hinterteils. Ihre Augen waren geschlossen, ihre Bewegungen höchst ökonomisch, da gab es kein Kopfwerfen und Hin- und Herfallen. Sie versetzte mit kleinen Schritten ihren Nilpferdleib in ein Beben, hob die Arme über den Kopf und war, vom Musiktosen umbrandet, in ihr kaum merkliches Wiegen vertieft, doch als die Musik abbrach, sah sie genauso verstört um sich wie die beiden jüngeren Frauen, die davor hatten bewahrt werden müssen, sich zu verletzen. Wie hätte man die schwere Frau auch vor der eigenen Gewalt schützen mögen? Sie hätte sich über die Helferinnen gewälzt und ihnen den Atem genommen. Und doch war auch sie in einen Zustand geraten, als sei sie einer Art Gefahr entronnen, die zu schlimm war, um sich über dies Entrinnen schon freuen zu können.
»Man wird das Böse, das in einem steckt, nie wieder los -man muß sich mit ihm arrangieren, sich an es gewöhnen, einen Kompromiß damit schließen«, sagte Souad, als die Musik wieder einmal schwieg. Ein schönes junges Mädchen mit Armbändern und Ketten, an denen Goldtaler hingen - das sah sehr nach Hochzeitsschmuck aus -, wurde nun in den Kreis gezogen. Sie blickte sich um. War der eine der beiden Männer etwa ihr Ehemann? Hans meinte aufspringen und die junge Frau aus der Garage wegführen zu müssen. Wenn dies alles hier zu etwas gut war - der Anblick der erschöpften und ratlos vor sich hinstarrenden Frauen ließ das nicht allzu sicher erscheinen -, dann mußte es im Verborgenen geschehen. Was war das für ein Ehemann, der mit anderen zusah, wie seine Frau dermaßen außer sich geriet? Der Mann schien wohl ähnliches zu empfinden. Er
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