Kerstin Dirks & Sandra Henke - Vampirloge Condannato - 01
Spinnfäden hingen in den Zimmerecken. In diesen Räumen lebte schon lange niemand mehr. Trotzdem hielt sich Tammys Gänsehaut hartnäckig. Sie musste verrückt sein, mitten in der Nacht in ein Vampirhaus einzusteigen! Und selbst, wenn es gar keine Vampire gab, war es immer noch ein Einbruch in fremdes Eigentum.
Tamara beschloss sich zu beeilen. Nun war sie schon einmal hier, jetzt konnte sie auch den ersten Stock noch schnell absuchen. Sie stieg die Treppe hinauf. Die Stille war gespenstisch! Der erste Stock hieß sie mit Finsternis willkommen, obwohl die Fenster nicht mit Brettern vernagelt, sondern nur mit schweren Samtvorhängen verschlossen waren. Eifrig suchte Tamara die Schränke ab. Sie stieß auf ein Teeservice, bleiches Porzellan, handbemalt mit gelben Wildrosen, die das Herz eines jeden Antiquitätenhändlers hätte höher schlagen lassen und alte vergilbte Dokumente, die in einer fremden Sprache verfasst worden waren. Auf einmal zitterten ihre Hände. Unter einer Hutschachtel kam ein Buch hervor! Vorsichtig zog Tammy es heraus. Sie legte es auf einen Kirschholztisch, der nicht abgedeckt war und leuchtete auf den Ledereinband. In das Leder war eingestanzt: ‚Dies sind die Memoiren von Sophie Langsdale, geborene Ashford.’ Tammy konnte ihr Glück kaum fassen. Jetzt glaubte sie es endlich! Sophie hatte wirklich gelebt. Dies war
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Sandra Henke & Kerstin Dirks Begierde des Blutes
Jeremys Haus. Und wenn das alles der Wahrheit entsprach, wie konnte es anders sein, als dass Jeremy Wellingham tatsächlich ein Vampir gewesen war?
Da wurde Tamara die Taschenlampe aus der Hand geschlagen! Das Licht fiel zu Boden. Das Glas der Lampe zerbrach. Der Schein erstarb. Nichts als Dunkelheit umgab Tammy. Und ihr blieb fast das Herz stehen! Sie hätte schreien sollen, aber ihre Zunge klebte am Gaumen. Der Kloß in ihrem Hals ließ sich nicht herunterschlucken. Tamara blinzelte in die Finsternis, um wenigstens Umrisse des Angreifers zu erkennen, aber es drang so gut wie kein Licht der Straßenlaternen in den Raum. Sie hörte Schritte. Er ging um sie herum, umkreiste sie wie ein Panther seine Beute. Warum griff er nicht an? Es schien fast, als wäre er in der Lage sie zu sehen und würde beobachten, wie sie mit sich kämpfte. Sollte sie einfach loslaufen? Nein, ohne Sophies Buch würde sie nirgendwo hingehen. Aber sie konnte nicht gegen einen Feind kämpfen, den sie nicht sah.
„Was wollen Sie…“, begann Tammy. Da legte der Angreifer ihr von hinten eine Hand auf den Mund, die andere griff um ihre Taille und drängte sie gegen eine Wand. Nun war sie gefangen zwischen Mauer und Körper. Ein Mann, es war eindeutig ein Mann. Ihre Angst nahm zu. Panik übernahm die Kontrolle. Auf einmal wehrte sie sich mit Händen und Füßen. Sie versuchte sich mit aller Kraft freizukämpfen, doch der Fremde hatte sie fest im Griff. Nach einer Weile hielt sie erschöpft inne.
„Psst“, hauchte er ihr ins Ohr.
Tamara lauschte angestrengt. Langsam ebbte die Panik ab und sie konnte klarer denken. Mit beiden Händen riss sie an seiner Hand, die ihren Mund verschloss. Alle Bemühungen waren umsonst. Er war wie ein Stein, den sie nicht zur Seite rollen konnte – und genauso kalt. Plötzlich fiel es ihr auf! Seine Hand war kühl, so kühl wie das alte Mauerwerk, gegen das er ihren Busen drückte.
‚Dorian’!, schoss es ihr durch den Kopf. Der Gedanke lähmte sie. Wollte er ihr Böses oder hatte er lediglich vor, einen Einbrecher zu stellen? Tammy schloss die Augen. Sie konnte ja eh nichts sehen und wusste nicht einmal, ob es wirklich Dorian war, der sich eng an ihren Rücken schmiegte. Angestrengt versuchte sie sich auf den Mann hinter sich zu konzentrieren. „Minotaure“, roch sie es wirklich oder spielte die Wahrnehmung ihr einen Streich?
„Ich werde die Hand erst wegnehmen, wenn du dich beruhigt hast“, flüsterte er.
Das lüsterne Timbre seiner Stimme ließ sie erschaudern. Sein Atem kitzelte ihren Nacken. Oh, sie wünschte sich, dass es Dorian war und wusste gleichzeitig, sie würde die versprochene Ohrfeige nachholen, wenn tatsächlich er es war, der sie so erschreckt hatte. Aber warum gab er sie nicht frei? Er führte etwas im Schilde und diesmal war es kein Necken. Das spürte sie mit jeder Faser ihres angespannten Körpers. In diesem Augenblick fiel ihr wieder ein, dass sie sich in Jeremys Haus befanden - Jeremy, der Vampir. Was würde Dorian mit ihr machen, wenn er auch ein Blutsauger war?
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Sandra Henke & Kerstin
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