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Ketten der Liebe

Ketten der Liebe

Titel: Ketten der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina Dodd
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dem großen Schreibtisch gesessen und den gerissenen jüngeren Sohn seine Verachtung spüren lassen.
    Als sein Vater dann starb, hatte Harrisons Bruder dessen Platz eingenommen. Stets verlangte er viel, hielt sich mit Belohnungen aber zurück. Und als Lady Andriana verschwand, versiegte auch diese Quelle der kleinen finanziellen Zuwendungen.
    Aber Harrison hatte manch eine Stunde allein in diesem dunklen Gemach zugebracht und die kleinen Geheimnisse gelüftet. Zielstrebig trat er an den Schreibtisch und öffnete die abgeschlossene Schublade mit einem Zweitschlüssel. Er durchwühlte den Inhalt, bis seine Hand ein Bündel Geldscheine ertastete - und es war keine kleine Summe. Die Scheine passten kaum in seine Tasche, aber mit dieser kleinen Belastung würde er leben können.
    Nun ging er zu dem Porträt des dritten Marquess, nahm das Ölgemälde von der Wand, stellte es ab und lächelte zufrieden, als er im matten Licht die metallene Tür des Safes schimmern sah. Rasch bückte er sich, schlug eine Ecke des Orientteppichs zurück, fand den Schlüssel und steckte ihn in den Safe. Geräuschlos schwang die kleine, schwere Tür auf, und Harrison griff in die dunkle Öffnung, die sich auftat ...
    Da hörte er ein Geräusch hinter sich.
    Erschrocken wirbelte er herum, die Hände zu Fäusten geballt.
    Doch da war niemand. Schnell ließ er den Blick durch das im Dunkeln liegende Zimmer gleiten. Alles sah aus wie immer. »Zeig dich!«, rief er scharf.
    Keine Antwort. Schweigen beherrschte den Raum. Erleichtert atmete Harrison aus. Er war einfach nur nervös, das war alles. Der Vorfall auf dem Balkon hatte ihn aus dem Gleichgewicht gebracht, was nicht verwunderlich war. Schließlich kam es nicht jeden Tag vor, dass er gleich zwei Menschen tötete.
    Zumindest hoffte er, dass auch Biggers sein Leben ausgehaucht hatte. Der Narr mischte sich in alles ein und hatte nichts anderes als den Tod verdient.
    Aber was war das dort auf dem Schreibtisch? Das war ihm bislang noch gar nicht aufgefallen. Der schwache Lichtschein, der durch die Spalten der langen Vorhänge fiel, beleuchtete eine Pistole. Das war seine Waffe!
    Die hatte offenbar Merrill hier platziert. Nur wann?
    Wieder schaute er sich in dem großen Zimmer um, aber da war niemand.
    »Zu dumm auch«, murmelte er vor sich hin und wusste selbst nicht recht, ob er schon Gespenster sah. In seiner Unruhe bildete er sich Dinge ein, die gar nicht existierten.
    Wieder griff er in den Safe. Sofort fand er den Beutel, in dem sich Münzen befanden. Er nahm ihn heraus und schätzte das Gewicht in einer Hand ab.
    Goldmünzen, was sonst? Der Marquess von Northcliff gab sich nicht mit Silbergeld ab.
    Perfekt.
    Er stopfte sich das Geld in die Taschen, bis sie sich unter dem Gewicht beulten. Zufrieden klopfte er sich auf die Westentasche, und zum ersten Mal seit dem Vorfall spürte er wieder Zuversicht. Ja, er würde mit heiler Haut davonkommen.
    Bis jemand - irgendein geistloser Mistkerl, der sich versteckt hatte - die Vorhänge beiseiteschob. Die rötlichen Strahlen der Abendsonne fluteten in das Herrenzimmer. Harrison kniff die Augen gegen die unvermutete Helligkeit zusammen und war mit einem Satz beim Schreibtisch. Er griff nach der Pistole.
    Die Umrisse eines Mannes hoben sich vom Licht ab, das durch die hohen Fenster fiel. Und er sah aus wie ...
    »Jermyn?« Aber wie war das möglich? Nach diesem Sturz konnte er unmöglich noch am Leben sein.
    Doch es war die Stimme seines Neffen, die antwortete. »Ja, Onkel.« Jermyn trat tiefer in den Raum.
    Harrison zielte auf ihn.
    »Bist du sicher, dass du mich erschießen willst?«, fragte Jermyn gespannt. »Du hast mich bereits in die Tiefe hinabgestoßen. Findest du da die Pistole nicht ein wenig übertrieben? Außerdem werden bei dem Schuss garantiert alle angerannt kommen.«
    »Wie, zum Teufel, kommt es, dass du noch lebst?« Harrisons Finger am Abzug zitterte.
    »Wenn man über den Rand der Klippen springt, braucht man nichts anderes als einen weichen Untergrund, auf dem man landen kann. Leider hatte das Unwetter einige Felsen weggerissen, sodass ich mir doch ein paar Prellungen zuzog.« Jermyns Züge wurden sichtbar, als er auf den Schreibtisch zukam.
    Harrisons Blick fiel gleich auf eine Platzwunde an Jermyns Wange, aber abgesehen davon sah sein Neffe ausgesprochen gesund aus.
    Harrison spürte, dass die Dinge sich gegen ihn kehrten. Bei Gott, er hatte schon manchen herben Rückschlag einstecken müssen, und daran waren sein Vater, sein Bruder

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