Ketten der Liebe
an.
Die Männer sahen einander ratlos an und wussten nicht, wie sie Amy in ihrem Kummer beistehen sollten.
Doch alle machten Amy Platz, als sie mit düsterer Miene auf das Haus zuhielt. Nur ein Gedanke beherrschte ihr Denken: Vergeltung.
Die Gäste um sich herum nahm sie nicht mehr wahr, und so kam es, dass sie auch nicht sah, wie Lord Smith-Kline ein kleines Fernrohr aus der Tasche zog und es scharf stellte. Ebenso wenig hörte sie, dass er mit größtem Erstaunen sagte: »Das ist nicht Northcliff. Dort unten liegt eine Frau - und zwar schon sehr, sehr lange.«
25. Kapitel
W ährend Harrison Edmondson durch die Korridore von Summerwind Abbey schritt, umgeben von einer Hand voll Begleitern, die ihn tiefer in das Innere des Hauses führten, wurden draußen die klagenden Stimmen der Gäste allmählich leiser.
Flankiert von Walter und einem stämmigen Diener, sah Harrison noch eine reelle Chance zur Flucht. Biggers war hinter ihm, aber der treue Merrill musste noch irgendwo hier durch die Gänge streichen. Doch so günstig stand es nun auch wieder nicht um Harrison, hatte doch jeder verdammte Gast gesehen, wie er diesen elenden Wurm Jermyn in den Abgrund gestürzt hatte. Ihm war bewusst, dass er hängen würde, wenn es zu einem Prozess käme. Daher würde er bei der erstbesten Gelegenheit die Flucht ergreifen.
Als die kleine Gruppe um die nächste Ecke bog, kam die erhoffte Gelegenheit: Einige Schritte weiter hinten öffnete sich leise eine Tür. Jemand trat hinaus in den Gang.
»Wer zum ...?«, kam es von Biggers.
Harrison drehte sich in dem Moment um, als Merrill dem Kammerdiener mit einem Knüppel auf den Kopf schlug. Biggers schwankte und sank dann bewusstlos in sich zusammen; Blut lief aus der Wunde an der Schläfe.
»Guter Junge!« Harrison nickte seinem Diener zu. Nun hatte es sich doch ausgezahlt, dass er Merrill zu seinem persönlichen Diener ernannt hatte.
Der junge, stämmige Diener von Jermyn sah sprachlos von einem zum anderen und starrte dann entsetzt auf Biggers, der reglos auf dem Teppich lag. »Mach, dass du fortkommst!«, zischte ihn Walter böse an.
Mit schreckgeweiteten Augen eilte der junge Mann davon.
»In den Stallungen steht ein Pferd für Sie bereit, Mr. Edmondson«, sagte Walter.
Harrison schnaubte vernehmlich. Seit zehn Jahren hatte er auf keinem Pferd mehr gesessen. »Ich will meine Kutsche, verdammt!«
»Leider komme ich nicht bis zu Ihrer Kutsche, da die Wagen der anderen Gäste die Zufahrt versperren.« Walter brach der Schweiß aus. Wusste er doch nur zu genau, dass auch er verloren war, wenn Harrison gefasst würde.
Da war es nur gut, Verbündete zu haben.
»Dann nehme ich eben irgendeine der Kutschen.« Als Walter Anstalten machte zu widersprechen, war Harrison mit seiner Geduld am Ende. »Um Himmels willen, Mann! Sagen Sie einfach, ich hätte Sie gezwungen.« Er stapfte in Richtung Herrengemach davon und rief den anderen noch über die Schulter zu: »Sie werden Ihnen glauben, wenn sie Biggers finden. Merrill, Sie gehen mit ihm und sorgen dafür, dass alles so läuft, wie ich es wünsche. In zwanzig Minuten treffen wir uns am Dienstboteneingang.« Er wartete gar nicht erst ab, ob die Männer der Aufforderung auch nachkamen, sondern setzte unbeirrt seinen Weg zum Herrenzimmer fort.
Er brauchte jetzt vor allem Geld, um zum Hafen zu gelangen. Dort würde er sich einschiffen und die lange Überfahrt nach Indien in einer Luxuskabine genießen. Denn in Indien hatte er ein Gutteil des Familienvermögens unter seinem Namen zur Seite gelegt. Harrison war immer gern auf alles vorbereitet; stets hatte er mit einer solchen Wende gerechnet. Wenngleich er auch nicht mit ... so vielen Zuschauern gerechnet hatte.
Er knirschte mit den Zähnen, hatte er doch immer geglaubt, er würde einfach so davonkommen. Er verachtete die Leute, die sich bei einem Verbrechen erwischen ließen. Doch hier war er nun und musste wie ein Dieb in der Nacht verschwinden.
Die Vorhänge im Herrenzimmer waren zugezogen. Die aufgebrachten Rufe der Diener und Gäste drangen nur gedämpft an seine Ohren. Harrison blieb einen Moment stehen, damit seine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnen konnten. Diesen Raum kannte er gut. Nichts schien sich hier verändert zu haben. Der dicke, orientalische Teppich, die schweren Möbel ... die gesamte Einrichtung hatte immer schon dazu gedient, jeden Bittsteller zu beeindrucken, der beim Marquess von Northcliff vorsprach.
Als Harrison noch jung war, hatte sein Vater hinter
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