Ketten der Liebe
und Andriana schuld gewesen. Aber nie hatte er damit gerechnet, von Jermyn besiegt zu werden. Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als seine ganze Überredungskunst einzusetzen, wenn er dem Galgen noch entkommen wollte.
»Vielleicht können wir uns noch auf eine andere Weise einig werden, Neffe.« Glaubte er doch, er könne sich auf Jermyns Wort verlassen. Der Junge hatte dieselbe törichte Vorstellung von Ehre wie sein Vater.
»Das hängt davon ab, was du mit dieser Pistole vorhast«, hob Jermyn hervor. »Du solltest vielleicht wissen, dass Walter überwältigt wurde. Und dein Kammerdiener ist tot...«
»Tot?« Das war wahrlich keine gute Nachricht.
»Er widersetzte sich mir, und nun lebt er nicht mehr.«
Wenn das stimmte, dann war sein Neffe doch in der Lage, sich zu verteidigen, denn Merrill kannte sich nicht nur mit Waffen aus, sondern war ein erstklassiger Faustkämpfer.
»Die Gäste strömen zurück ins Haus, und du hast vielleicht vergessen, dass ich allen Grund habe, zornig auf dich zu sein.« Mit einem rätselhaften Lächeln schritt Jermyn im Raum auf und ab; ein junger, vitaler, forscher und gut aussehender Mann, den Harrison noch mehr hasste als seinen eigenen Bruder.
»Das mag sein.« Langsam ließ Harrison die Pistole sinken - aber den Finger nahm er nicht vom Abzug. In diesem Moment war die Kugel im Lauf das letzte Ass, das Harrison noch zur Verfügung hatte.
»Nicht aus dem Grund, den du dir jetzt vielleicht vorstellst. Denn warum sollte ich dir zürnen, wenn du schön brav in meine Falle gelaufen bist, als du versucht hast, mich vor den Augen meiner Gäste zu töten?«
»Ich gebe zu, dass du mich überlistet hast, Neffe.« Ein wenig Schmeichelei konnte nicht schaden. Harrison würde es nicht bis zur Tür schaffen. Er könnte das Haus nur dann verlassen, wenn Jermyn ihn gehen ließe.
»Nein, du musst wissen, dass die Brandung einen Teil der Klippen fortgerissen hat. Einige der alten Höhlen sind eingestürzt. Insbesondere eine , Onkel.« Jermyn machte eine bedeutsame Pause und sah Harrison direkt in die Augen. »Als ich sprang, brach der Vorsprung unter mir weg, auf dem ich landen wollte. Ich konnte mich gerade noch an den Felsen festhalten. Und als ich dort hing, sah ich, dass unter mir eine der Höhlen aufgebrochen war. Die Decke war eingestürzt, die meisten Steine waren fortgespült. Das Einzige, das noch da war, war ...«
»Andriana«, ergänzte Harrison den Satz. »Du hast Andriana gefunden.« Die Worte kamen ihm im Flüsterton über die Lippen.
Jetzt war es heraus! Der Verrat. Jermyn erkannte sofort die Tragweite dieses Bekenntnisses. Denn Onkel Harrison wusste gleich, welch grausige Entdeckung Jermyn an der Klippenfront gemacht hatte. Jermyn schritt wieder im Zimmer auf und ab, und in seinen Zügen lag eine düstere Zufriedenheit über das Schuldeingeständnis. »Ja, ich habe die sterblichen Überreste meiner Mutter gefunden.« Die Pistole zog schwer an seinem Gürtel, aber Jermyn wusste, dass er die Waffe nicht so schnell ziehen könnte, wie sein Onkel abdrücken würde. Stattdessen verließ er sich auf das kurze, scharfe Messer, das er im Ärmel hatte und in seiner hohlen Hand verbarg. »Sie ist nur noch ein Skelett. Das einst scharlachrote Kleid liegt unter dem schwarzen Mantel eines Mannes.«
Das blanke Entsetzen wich aus Harrisons Augen, da er noch eine Chance witterte. »Woher willst du wissen, dass dort deine Mutter liegt?«, hakte er mit einem gerissenen Grinsen nach.
»Einige Haarsträhnen haften noch an ihrem Schädel -und wie du dich vielleicht erinnerst, Onkel, hatte sie dieselbe Haarfarbe wie ich.« Leichtfüßig umrundete Jermyn den Schreibtisch. Keinen Moment blieb er stehen, war immer in Bewegung und beobachtete jede noch so kleine Bewegung seines Onkels.
Harrison schnalzte mit der Zunge und erging sich in falschem Mitgefühl. »Wenn dem so ist, dann spreche ich dir mein aufrichtiges Beileid aus, aber warum erzählt du ausgerechnet mir das alles?«
»Weil du mir, kurz bevor du mich über die Brüstung gestoßen hast, sagtest, man fällt nur einmal. Das kann nur ein Mann sagen, der sich auskennt.« Jermyn hatte den schmalen Pfad von den Kippen genommen, fest entschlossen, seinen Onkel zur Rede zu stellen und die ganze Wahrheit zu hören, aber er war nicht dumm. Er würde hier nicht sterben. Am Nachmittag hatte er die Fassung verloren und die einzige Frau fortgeschickt, die ihm etwas bedeutete. Nein, hier würde sein Leben nicht enden. Er würde lange genug
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