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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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Henker das Messer in Jeromes Brustbein stieß, um ihn aufzuschlitzen, und seine Todesschreie zum Himmel schallten, drehte sich Walsingham um und sah mir über die Köpfe der in furchtbarem, bedrohlichem Schweigen dastehenden Menge hinweg in die Augen. Er nickte ein Mal, wie um Zustimmung zu bekunden, dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf das Schafott. Als Jeromes Kopf in die Höhe gehalten wurde, war außer dem leisen Rascheln der Blätter im Wind und dem Plätschern des Regens kein Laut zu hören.
     
    »Trinkt noch einen Schluck, Bruno, Ihr seht aus, als würdet Ihr ihn brauchen.« Walsingham schenkte mir ein Glas Wein ein, aber meine Kehle schnürte sich zu, als ich es an die Lippen hob. Ich meinte, noch immer Blut und brennendes Fleisch zu riechen, und obwohl uns Walsinghams Frau etwas zu essen gebracht hatte, hatte ich keinen Bissen hinuntergebracht.
    Jetzt saßen wir in seinem privaten Arbeitszimmer in seinem Landhaus in Barn Elms, einige Meilen westlich von London. Der Himmel war noch immer verhangen, und in dem dunkel getäfelten Raum mit den schmalen Fenstern herrschte Dämmerlicht. Sidney stand mit hinter dem Rücken verschränkten Armen an einem der Fenster und starrte in den Garten hinaus. Seit der Hinrichtung wirkte er ungewöhnlich betrübt. Wir waren, jeder in seine eigenen Gedanken versunken, in fast völligem Schweigen nach Mortlake hinuntergeritten. Jetzt saß mir Walsingham, das Kinn auf die Hände gestützt, gegenüber und musterte mich eindringlich.
    »Ihr habt Eure Sache gut gemacht«, sagte er endlich. »Der Königin wurde berichtet, dass Ihr wesentlich dazu beigetragen habt, einem weiteren potenziellen Attentäter das Handwerk zu legen. Wahrscheinlich hält sie es zu gegebener Zeit für angemessen, Euch persönlich ihren Dank auszusprechen.«

    »Es wäre mir eine Ehre.« Ich fuhr mir mit der Zunge über meine trockenen Lippen.
    »Irgendetwas bedrückt Euch«, stellte er freundlich fest. Ich schielte zu Sidney, der mir jedoch immer noch den Rücken zukehrte. »Ihr könnt hier offen sprechen, Bruno«, drängte Walsingham, als ich nicht antwortete.
    »Glaubt Ihr wirklich, dass er an einer Verschwörung zur Ermordung der Königin beteiligt war?«, fragte ich endlich.
    Walsingham sah mich lange ernst an, und mir fiel ein, wie er bei unserer ersten Begegnung von der Last seiner Verantwortung für das Königreich gesprochen hatte.
    »Nein, das glaube ich nicht«, erwiderte er dann. Sidneys Kopf fuhr herum, er setzte sich auf die Bank unter dem Fenster und beobachtete uns interessiert.
    »Die Kopie der Regnans in Excelsis -Bulle war alt. Ich glaube nicht, dass Jerome Gilbert sie mitgebracht hat. Außerdem tragen die Missionare auf Befehl des obersten Jesuiten nichts bei sich, das sie verraten könnte, und Gilbert wäre bestimmt nicht so unvorsichtig gewesen. Sie könnte Edmund Allen oder einem anderen der Fellows gehört haben. Das ist jetzt nicht mehr von Belang.«
    »Und Ihr wisst, dass er die beiden katholischen Fellows und den Jungen im Lincoln nicht ermordet hat?«
    »Auch das ist mir bekannt.«
    »Dann …« Ich blickte zu ihm auf, forschte in seinem Gesicht nach einer Bestätigung. »Dann wurde er für Verbrechen hingerichtet, die er nicht begangen hat.«
    »Die Regierung Ihrer Majestät verfolgt niemanden allein seines Glaubens wegen«, versetzte Walsingham mit einer Spur von Ungeduld. »Das wird öffentlich betont, und es ist wichtig, dass die Leute oft daran erinnert werden, sonst machen wir noch mehr Männer zu Märtyrern. Wenn sie glauben, dass die Jesuiten bereit sind, für ihren Glauben zu töten, ist das von unschätzbarem Wert für unsere Sache.«
    »Dann ist alles nur Propaganda«, stellte ich matt fest.

    »In diesem Land herrscht ein Krieg der Loyalitäten. Wir müssen zu allen Mitteln greifen, um die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass der beste Platz für sie auf unserer Seite ist. Ihr habt ja gesehen, wie die Leute heute reagiert haben, nicht wahr? Normalerweise wird, wenn der Kopf in die Höhe gehalten wird, lautstark ›Verräter! Verräter!‹ gebrüllt. Aber bei diesem Gilbert hat die Menge alles schweigend mit angesehen, und das dürfte dem Kronrat ernste Sorgen bereiten, es bedeutet, dass die Zuschauer es nicht gutgeheißen hat, was heute geschah, sie fanden es zu barbarisch. Noch so ein Schauspiel, und sie werden sich gegen uns wenden.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe schon oft dazu geraten, sie am Galgen hängen zu lassen, bis sie tot sind, aber ich

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