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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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Tasche ihres Kleides und zog ein zusammengefaltetes Stück Papier heraus. Sie trat auf mich zu und nahm meine Hand kurz zwischen ihre Hände, während sie mir aufmerksam in die Augen blickte. Trotz allem machte mein Herz einen Satz, und ich verspürte den Wunsch, sie in die Arme zu schließen. Das grausame Schicksal, das sie beschrieben hatte, erinnerte mich erneut schmerzlich an Morgana. Ich hatte eine junge, schöne und geistreiche Frau dazu verurteilt, unter den Rädern des Anstands und der Schicklichkeit zermalmt zu werden, und die Ungerechtigkeit, die darin lag, schnitt mir ins Herz. Ich klammerte mich noch immer an die Überzeugung, Sophias Leben gerettet zu haben, würde aber immer mit einem leisen Zweifel leben müssen: Was, wenn Jerome Gilbert sie wirklich sicher nach Frankreich hatte bringen wollen? Keiner von uns beiden würde je ganz sicher sein; diese Ungewissheit kettete uns aneinander, und ich verspürte ein überwältigendes Verantwortungsgefühl für sie. Sollte ich jetzt irgendetwas tun können, um ihr zu helfen, würde ich sie nicht im Stich lassen.
    »Schreibt mir«, flüsterte sie, dabei blickte sie nervös zur Tür, als fürchte sie, ihr Vater könne lauschen. »Ich muss wissen, wie er gestorben ist, was er noch gesagt hat. Mehr wünsche ich mir nicht mehr. Dies ist die Adresse meiner Tante in Kent. Morgen
werde ich zu ihr gebracht und wohl nie wieder nach Oxford zurückkehren.«
    »Euer Vater verbannt Euch doch sicher nicht für immer?«
    »Ihr kennt meinen Vater nicht. Wenn Ihr das eine für mich tun könntet …« Sie ließ den Satz im Raum verklingen und drückte sanft meine Hand. Ich versuchte, nicht zusammenzuzucken.
    »Ich werde es tun.«
    »Danke, Bruno.« Sie schien in meinem Gesicht zu forschen. »Wärt Ihr nur zwei Jahre eher nach Oxford gekommen, dann hätte alles anders sein können. Vielleicht hätten wir … Aber es bringt nichts, darüber nachzugrübeln, was hätte sein können. Für mich ist es jetzt zu spät.« Sie beugte sich vor und küsste mich so sacht auf die Wange, als hätte ich mir die Berührung ihrer Lippen nur eingebildet. Dann drückte sie noch einmal meine Hand und ließ sie los.
    Als ich mich mit bleischwerem Herzen zur Tür wandte, flüsterte sie: »Schreibt!« Ich drehte mich um und sah, wie sie so tat, als kritzele sie etwas auf ihre Hand. Ich nickte, dann ließ ich sie allein.
    Als ich die Tür hinter mir schloss, stand der Rektor immer noch am Fenster, hatte sich aber umgedreht, die Arme vor der Brust verschränkt, und fixierte mich mit seinen kleinen Knopfaugen.
    »Doktor Bruno, ich muss Euch dafür danken, dass Ihr die Universität von einem brutalen Mörder und aufwieglerischen Jesuiten befreit habt.« Sein Ton klang seltsam emotionslos, als wäre er zu keinerlei Gefühlen mehr fähig; ich konnte nicht sagen, ob er erleichtert war oder nicht. Aber seine Wortwahl machte mich stutzig.
    »Ihr wisst, dass es sich bei beiden nicht um ein und dieselbe Person handelt?«
    »Ich weiß, dass Gabriel Norris – ich kann nicht anders an ihn denken – wegen des Mordes an Roger Mercer, James Coverdale, Ned Lacy und Thomas Allen sowie verräterischer Absichten
bezüglich der Person Ihrer Majestät angeklagt wird. Ich habe auch erfahren, dass er anderer Verbrechen beschuldigt wird, die vielleicht für den Kronrat von geringerem Interesse sind, nicht jedoch für meine Familie.«
    Er sog so tief den Atem ein, dass er zitterte. Unsere Blicke kreuzten sich kurz, und ich las in seinen Augen einen Kummer, der ihn wohl für den Rest seines Lebens nicht mehr loslassen würde. In diesem Moment begriff ich, dass Sophia die Wahrheit gesagt hatte, denn der Rektor strahlte eine Kälte aus, die es ihm tatsächlich erlaubte, sie für immer zu verstoßen, wenn er es für notwendig erachtete. Man sah ihm den Schmerz eines Mannes an, der seine beiden Kinder verloren hatte. Ich hätte gerne ein gutes Wort für Sophia eingelegt, aber ich beschloss, den Mund zu halten. Ich hatte mich schon genug in die Angelegenheiten dieser Universität und vor allem dieser Familie eingemischt.
    »Ich glaube nicht, dass wir Euch noch einmal in Oxford begrüßen dürfen, Doktor Bruno«, sagte er steif und streckte mir eine Hand hin, während er auf die Tür zusteuerte. Die Dielen unter seinen Füßen knarrten in der Stille. »Im Licht der jüngsten Ereignisse bedauere ich es, Euch nicht schon früher vertraut zu haben, aber hier in Oxford sind wir es nicht gewöhnt, Ausländer als – nun, ich denke,

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