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Kid & Co - V3

Titel: Kid & Co - V3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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ich würde hier hängenbleiben, und wenn es doppelt so steil wäre... Ich habe schon ein reines Riesenloch für den einen Absatz fertig... und jetzt werden Sie still sein und mich arbeiten lassen.«
    Nur langsam vergingen die Minuten. Kid konzentrierte all seine Gedanken auf einen dumpfen Schmerz, den ihm ein Niednagel an dem einen Finger verursachte. Er hatte ihn am selben Morgen abschneiden wollen - er schmerzte schon damals, überlegte er. Und er faßte den Entschluß, ihn abzuschneiden, wenn er nur erst aus dieser verdammten Klemme herausgekommen war. Als er aber den Finger und den Niednagel in solcher Nähe betrachtete, kam ihm ein ganz neuer Gedanke. Gleich - bestenfalls in wenigen Minuten - waren dieser Niednagel, dieser Finger, der mit so kunstfertigen und geschmeidigen Gelenken versehen war, vielleicht Teile einer zerschmetterten Leiche in der Tiefe der Schlucht. Als er sich seiner Angst bewußt wurde, fühlte er Haß gegen sich selbst.
    Liebhaber von Bärenfleisch mußten aus anderem Holz geschnitzt sein! In der Wut über seine eigene Furcht begann er wieder mit dem Messer auf das Seil loszusägen... Da hörte er wieder Carson stöhnen und seufzen. Eine plötzliche Lockerung des Seils warnte ihn. Er begann zu gleiten. Die Bewegung war zuerst sehr langsam. Das Seil wurde treu und brav wieder angezogen - aber er glitt dennoch immer weiter. Carson konnte ihn nicht mehr halten, sondern wurde mit hinabgezogen! Er fühlte sich mit der Fußspitze vor und merkte den leeren Raum unter sich; jetzt, wußte er, mußte er senkrecht nach unten stürzen. Und er war sich gleichzeitig darüber klar, daß sein Körper im Fall sofort Carson mitreißen würde.
    Dann wurde ihm auf einmal klar, was Recht und was Unrecht war. In blinder Verzweiflung setzte er wieder das Messer an das Seil, sah, wie die zerschnittenen Stränge auseinanderplatzten. Fühlte dann, wie er immer schneller glitt und schließlich in die Tiefe stürzte...
    Was dann geschah, wußte er nicht. Er war nicht bewußtlos, aber alles geschah so schnell und kam so unerwartet. Statt im Todessturz zu zerschmettern, schlugen seine Füße fast augenblicklich gegen Wasser, und er setzte sich mitten in eine Pfütze, die ihn mit kalten Spritzern durchnäßte.
    »Oh, warum haben Sie das getan?« hörte er eine klagende Stimme von oben rufen.
    »Hören Sie«, rief er hinauf. »Ich bin vollkommen heil. Sitze hier bis zum Hals im Wasser. Und unsere beiden Rucksäcke sind auch da. Ich setze mich darauf. Es ist Platz für ein halbes Dutzend hier. Wenn Sie heruntergleiten, halten Sie sich nur dicht an die Wand, und Sie werden heil landen wie ich. Aber sonst machen Sie, daß Sie schnell hinaufklettern und wegkommen. Gehen Sie nach der Hütte. Es muß jemand drinnen sein. Ich habe den Rauch ja gesehen. Verlangen Sie dort ein Seil oder etwas, das ein Seil vorstellen kann... und kommen Sie wieder und holen mich hinauf.«
    »Ist es wirklich wahr?« rief Carson zweifelnd.
    »So wahr ich hier sitze und hoffe, daß ich einst sterben werde. Machen Sie jetzt, daß Sie wegkommen... sonst erkälte ich mich und hole mir den Tod.«
    Kid hielt sich warm, indem er mit seinen Füßen einen Kanal durch die Eisdecke hämmerte. Er hatte eben das letzte Wasser durch die Rinne abgeleitet, als ein Ruf anzeigte, daß Carson den oberen Rand der Kluft erreicht hatte.
    Darauf verwendete Kid die Zeit in aller Ruhe dazu, seine Kleider zu trocknen. Die späte Nachmittagssonne schien warm auf ihn herab, während er seine Kleider wrang und sie rings um sich ausbreitete. Seine Streichholzschachtel war wasserdicht, und es gelang ihm, genügend Tabak und Reispapier zu trocknen, um sich Zigaretten drehen zu können.
    Als er zwei Stunden später auf den beiden Rucksäcken saß und rauchte, hörte er von oben eine Stimme, in der er sich nicht irren konnte.
    »Aber Kid, Kid!«
    »Tag Fräulein Gastell!« rief er zurück. »Wo in aller Welt kommen Sie denn her?«
    »Haben Sie sich verletzt?«
    »Keine Spur!«
    »Papa wirft Ihnen jetzt das Seil hinunter... Können Sie es sehen?«
    »Jawohl... und ich hab' es auch schon gefangen«, antwortete er. »Sie müssen nur so freundlich sein, ein paar Minuten zu warten!«
    »Was ist denn los?« fragte sie ängstlich nach einigen Minuten. »Oh, ich weiß, Sie haben sich doch verletzt.«
    »Nein, durchaus nicht... ich muß mich nur anziehen...«
    »Anziehen?«
    »Ja... ich hab' ein bißchen gebadet... So, sind Sie bereit? Also, ziehen Sie!«
    Er ließ zuerst die beiden Rucksäcke

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