Kill Decision
Ammoniak riechenden Industrieabwässern. Auf der anderen Seite lag das Sindh Industrial and Trading Estate oder SITE, das genauso einladend war, wie der Name suggerierte.
Karatschi war nie Warners Traumstadt gewesen, aber er hatte sich nun mal in jenen ersten Jahren nicht sonderlich hervorgetan, und ein Geheimdienstposten im Ausland war ihm als gute Möglichkeit erschienen, seinen Lebenslauf aufzupolieren – sich etwas Respekt zu verschaffen. Dann, nur wenige Monate nach seiner Ankunft, hatte der russische Abzug aus Afghanistan begonnen. Kollegen hatten sich verwundert gezeigt, dass er nicht gewusst hatte, was für ein totes Gleis Pakistan karrieremäßig war. Er dachte an eine lange Liste verpasster Gelegenheiten und unproduktiver, unscheinbarer Auslandspöstchen, die darauf gefolgt waren. Es hatte ihn eine Scheidung und zehn Jahre Geduld gekostet, sich wieder nach Washington zurückzuarbeiten.
Dann, am 11. September – Bamm ! Plötzlich war Pakistan wieder wichtig und damit auch Warners jahrelange Erfahrung und umfangreiche Militärkontakte dort. Bald schon war er für Crews zuständig gewesen, die heimlich von entlegenen Orten aus operierten – Shamsi, Dalbandin, Jacobabad, Pasni. Junge Teams. Technische Teams. Spezialisten, die in Split Operations unbemannte Aufklärungsdrohnen starteten, die dann von Trailern aus geflogen wurden. Damals wusste niemand, wie zentral diese kleinen Spielzeuge einmal werden würden. Wenn Warner ehrlich war, gestand er sich ein, dass er den Job wahrscheinlich deshalb bekommen hatte: Es war zuerst nur eine Sideshow gewesen. Die dann unerwartet die Hauptbühne eroberte.
Es waren aufregende Zeiten gewesen, unmittelbar nach 9/11, und er hatte endlich glänzen können. Doch wie immer war die Zeit nicht stehengeblieben, und neue Leute mit neuen Fähigkeiten waren auf dem von ihm gebahnten Weg nachgerückt. Drohnen waren jetzt das Ding, und bald schon war er von jüngeren, technisch versierteren Eliteuniversitätsabsolventen ausmanövriert worden. Die Gartenparty-Clique. Seine ewige Nemesis.
Wenn er auf seine «Karriere» zurückblickte, war das das durchgehende Thema: ausmanövriert zu werden. Seine Exfrau hatte ihn ängstlich genannt, obwohl er sein halbes Leben in Kriegsgebieten verbracht hatte. Jetzt war er wieder in Karatschi. Da, wo er angefangen hatte – und damals war er in den Zwanzigern und sehr viel abenteuerlustiger gewesen. Jetzt beschäftigten ihn nur noch das Risiko fäkal-oraler Krankheitsinfektion und die Gefahr, gekidnappt zu werden.
Der Oberst patschte lachend auf Warners Knie und überschrie den Dieselmotor des Panzerfahrzeugs: «Kein Grund zur Nervosität. Es ist alles auf maximale Sicherheit ausgelegt.»
«Immer wenn Sie so was sagen, Anil, werde ich erst recht nervös. Es klingt wie eine Herausforderung des Schicksals.»
Der Oberst lachte schallend. «Zur Hölle mit dem Schicksal, mein Freund. Sie werden sehr froh sein. Sie werden sehen, das hier wird diese ganze Bin-Laden-Sache ausbügeln.»
Er kannte den Oberst schon fünfundzwanzig Jahre – seit er selbst noch ein CIA-Bürohengst gewesen war und Anil ein ISI-Verbindungsoffizier. Lange bevor ihn seine Landeskenntnisse und alten Kontakte zu einem wertvollen Sachverständigen gemacht hatten. Jetzt, da sie beide in den Fünfzigern waren, sahen sie den Ruhestand schon am Horizont. Irgendwo in Warners Kopf war immer das Bild eines nicht allzu teuren Apartments an der Texas Riviera. Es war Zeit, noch mal was für die Brieftasche zu tun. Noch eine Gehaltsklasse höher zu klettern, ehe er ins Consulting überwechselte.
Der BRDM-2-Vierradpanzerwagen bremste ab, und Warner holte tief Luft. Sie nahmen die Tannery Road. Ab jetzt würde es nur noch heikler werden. Das hier war PPP-Territorium. Im dichten Verkehr dahinzukriechen machte sie zur leichten Beute. Eine Panzerfaustgranate aus nächster Nähe, und ein weißglühender Strahl von geschmolzenem Metall würde in die Fahrgastzelle schießen und darin umherjagen, bis sämtliche Insassen wie schlecht durchgebratenes Hackfleisch aussähen. Er hatte die Löchlein gesehen, die diese Geschosse in den Stahl eines Panzers fraßen. Warum auch ein großes Loch in die Schale reißen, wenn man ja nur an das saftige Fleisch im Inneren wollte? Aber der Konvoi schien immer noch ordentlich voranzukommen. Und sie waren ja noch nicht tot.
Er spähte wieder durch den Sichtblock, und nach den vielen bewaffneten Polizisten da draußen zu urteilen, waren die Straßen für den
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