Kill Order
halbherzig.
Sie fuhren mit dem Aufzug hinunter zum Parkdeck. Katzenbaum bezahlte das Ticket. Der alte Renault stand am hintersten Ende der Reihe. Rafiq warf seine Tasche auf den Rücksitz und stieg ein. Das Auto roch nach Staub und Scheibenreiniger.
„Offiziell sind wir nicht hier“, sagte Lev. „Sie würden uns sofort verhaften.“ Er ließ den Motor an und schob sich rückwärts aus der Parklücke. Während er die Autoreihe hinunterrollte, suchte er nach seinen Zigaretten. „Willst du eine?“
„Danke, ich habe aufgehört.“
Sie ließen die Gebäude des Flughafens hinter sich und bogen auf die Schnellstraße, die stadteinwärts führte. Es herrschte dichter Verkehr. Rafiq musterte die Industriekulisse auf beiden Seiten. Ein Bretterzaun sperrte kilometerlange Schuttfelder ab. Auf der gegenüberliegenden Seite rissen Bulldozer und Planierraupen die Erde auf. Seit Ende des Bürgerkriegs hatte sich ganz Beirut in eine riesige Baustelle verwandelt.
„Wie war die Reise?“
„Anstrengend. Ich hasse Middle East Airlines. Hässliche Stewardessen und der Kaffee ist furchtbar. Warum leitet ihr eigentlich alles über Paris?“
„Sicherheitsvorschrift“, sagte der Katsa lakonisch.
Sie überholten einen Schulbus, Schemen von Kindergesichtern, die sich gegen staubige Scheiben drückten. Rafiq verspürte einen Anflug von Wehmut. Es war ein Gefühl, wie man es empfindet, wenn man nach langer Zeit an einen vertrauten Ort zurückkehrt. Ein Gefühl wie Heimat, bittersüß und in diesem Moment völlig unangebracht. Er drehte den Kopf weg und starrte auf die Kolonne von LKWs, die über die Gegenfahrbahn krochen. Die Luft flimmerte von der Hitze und den Abgasen. Damals, bevor der Bürgerkrieg die Stadt zerstört hatte, war dies der Ort seiner Kindheit gewesen. Heute war es ein fremdes Land. Der alte Zauber hatte sich verflüchtigt.
Seine Eltern lebten noch immer in Beirut, sein Vater handelte vermutlich wieder mit alten Büchern und Pergamenten. Rafiq hatte ihn nicht wiedergesehen, seit er vor zwei Jahrzehnten fortgegangen war, um Freiheitskämpfer zu werden. Er mied den Gedanken an seinen Vater. Die gefühlte Distanz war mit jedem Jahr größer geworden, bis sie schließlich unüberbrückbare Dimensionen angenommen hatte.
Katzenbaum überholte einen Lastwagen und bog in die Ausfahrt Hamra. Sie fuhren die belebte Rue de Monot hinunter und tauchten ein in ein Gewirr enger Gassen. Die Bewohner dieser Gegend gaben sich keine Mühe, ihre religiöse Ausrichtung zu verbergen. Transparente mit Koranversen spannten sich zwischen den Hauswänden, an den Mauern hingen Bilder des ehemaligen Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri, der im Februar durch eine Autobombe getötet worden war. Katzenbaum lenkte den Renault in eine abschüssige Querstraße und parkte vor einer Treppe.
Sie liefen ein Stück zurück bis zu einem Mehrfamilienhaus, einem schmucklosen Betonbau aus den sechziger Jahren. Allah Akbar – Allah ist groß – war mit verblasster Farbe auf die Außenwand geschrieben.
Die sichere Wohnung lag im zweiten Stock, ein karg möbliertes Vierzimmer-Apartment mit einem Balkon zur Straßenseite. Auf ihr Klopfen hin öffnete eine schwarzhaarige junge Frau, die sich als Sofia vorstellte. Sie verschwand in der Küche, während Rafiq und Katzenbaum sich im Wohnzimmer niederließen.
„Ich habe ein Abendessen mit Nasser Abu-Ghanem abgesagt“, sagte Rafiq. „Ich hoffe, dein Anliegen ist wichtig.“
„Wer zur Hölle ist Nasser Abu-Ghanem?“ Katzenbaum zündete sich eine neue Zigarette an, nahm einen tiefen Zug und blies den Rauch gegen die Zimmerdecke.
„Der syrische Repräsentant der Protonstahl AG.“
„Schade.“ Katzenbaum klang kein bisschen reumütig. „Aber bestimmt kannst du ihn überzeugen, sich ein andermal mit dir zu treffen.“
Sofia kehrte mit einer Kaffeekanne und drei abgestoßenen Gläsern zurück. In ihren Jeans und dem bedruckten T-Shirt sah sie aus wie eine Studentin. Vermutlich war sie sogar an der Amerikanischen Universität eingeschrieben, deren Campus in der Nachbarschaft lag.
„Sofia ist unsere Koordinatorin“, erklärte Katzenbaum.
„Was haben wir vor?“ Rafiq streckte seine Beine aus und fixierte die junge Frau.
„Wir werden einen Mann fangen.“
„Ah.“ Er registrierte nicht ohne Vergnügen, dass Sofia seinem Blick auszuweichen versuchte und fragte sich, ob sie schon lange auf der Lohnliste des Mossad stand. Ihr Aussehen war unverkennbar arabisch geprägt, etwas, das sie für
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