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Kill Order

Kill Order

Titel: Kill Order Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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gefühlt, halb im Delirium, in diesem Verhör mit den Shaback-Leuten? Er konnte sich kaum noch erinnern. Sie hatten nach Zahlen gefragt, nach gesichtslosen Fakten, die er ihnen ohne Zögern gegeben hatte. Das war ihm nie so verwerflich erschienen wie das, was Nikolaj getan hatte. Später war ihm der Gedanke gekommen, dass diese Informationen vielleicht für andere den Tod bedeuteten. Nur, weil es keine Namen und keine Gesichter gab, sprach ihn das nicht von der Schuld frei. Es waren unangenehme Gedanken, die er nie lange verfolgen mochte.
    Er versuchte auszuloten, was er jetzt fühlte, wenn er an Nikolaj dachte, und fand nur Gleichgültigkeit. Das überraschte ihn. Einst war da Zorn gewesen, dann Hass. Dann schwelende Schuldgefühle, weil sich in einem Winkel seiner Seele Befriedigung breit machte, wegen Carmen. Er hatte immer gewusst, dass sie Nikolaj ihm vorgezogen hätte. Der Russe war nur zu blind und zu schüchtern gewesen, seine Hand nach ihr auszustrecken. Dann, als er sich als Verräter erwies und aus ihrem Leben verschwand, ergriff Rafiq seine Chance. Der lästige Rivale hatte sich selbst aus dem Weg geräumt.
    Gewaltsam unterdrückte er die Erinnerungen. Sie verstärkten sein Unbehagen und trugen nicht dazu bei, dass sein innerer Aufruhr sich legte. Stattdessen konzentrierte er sich auf die Blätter in seiner Hand.
    Rosenfeldt war ein US-Senator gewesen und zugleich einer der mächtigsten Botschafter des jüdischen Staates außerhalb von Israel. Mit Ephraim Seltzer hatte ihn eine enge persönliche Freundschaft verbunden. Sicher auch ein Grund dafür, dass er den Mossad mit großzügigen finanziellen Zuwendungen unterstützte. Sein Tod war nicht nur auf politischer Ebene ein Fanal gewesen, er hatte auch die subtil gesponnenen Netze der Nachrichtendienste heftig erschüttert.
    Viele der Informationen im Dossier stammten aus CIA-Quellen, denn der Mossad hatte sich erst aktiv eingeklinkt, als der Senator bereits tot war und zur Jagd auf den Killer geblasen wurde.
    Rosenfeldts Besuch in Berlin wurde von den üblichen Sicherheitsmaßnahmen flankiert. Deutsche Polizeibeamte hatten gemeinsam mit CIA-Leuten das Museumsgelände gesichert, dabei aber das Eindringen des Killers nicht verhindern können. Vor der Eröffnungsfeier hatte sich Rosenfeldt mit Max Fischer getroffen, dem neu eingesetzten Direktor des Jüdischen Museums. Der Killer, den sie unter dem Namen Fabio führten, lauerte ihm auf dem Rückweg von Fischers Büro im zweiten Stock auf und erschoss ihn aus nächster Nähe. Fabio entkam durch den Wirtschaftstrakt des Museums und fuhr mit einem Mietwagen zu seinem Hotel in Berlin-Mitte. Den Wagen stellten später Beamte des BKA sicher, ebenso wie die persönlichen Sachen des Killers, die dieser in seinem Hotelzimmer zurückgelassen hatte.
    Rafiq bestellte sich frischen Kaffee und setzte seine Lektüre fort.
    Was nach Fabios Ankunft im Hotel folgte, war der Höhepunkt einer absurden Verkettung von Zufällen. Am Tag nach der Einweihung des Jüdischen Museums fand eine Vernissage in der eleganten Galerie Neuhoff im Berliner Stadtteil Tiergarten statt. Sie eröffnete eine Ausstellung des belgischen Malers Nico Delani mit dem Namen ‚Metamorphosen’. Zur Überraschung der Gäste tauchte der als exzentrisch geltende Künstler allerdings nicht auf.
    Delani wurde als Shooting-Star in der europäischen Kunstszene gehandelt. Innerhalb weniger Jahre hatten sich seine Bilder als feste Größe auf dem Kunstmarkt etabliert. Er war seit 1997 mit der Sizilianerin Anna Tiépola verheiratet, einer Schwester des großen Francesco Bracci. Das war der Punkt, an dem die CIA sich für den kamerascheuen Künstler zu interessieren begann.
    Die Bracci-Familie betrieb ihre sehr einträglichen Geschäfte von Reggio di Calabria und Rom aus und besaß beste Verbindungen in die Spitzen der italienischen Regierung. Sie hatten in den achtziger und neunziger Jahren viel Geld mit Risiko-Investment verdient und operierten mit Firmenbeteiligungen in ganz Europa. Wichtige Geschäftsfelder waren Baugewerbe, pharmazeutische Industrie und Kunsthandel.
    CIA und Interpol waren jedoch davon überzeugt, dass der weitaus größere Teil des Bracci-Reichtums aus illegalen Kanälen stammte. Die Schlagworte lauteten Kunstbeschaffung und Kunstfälscherei, Drogenschmuggel, illegale Waffengeschäfte. Es hieß, dass Luca Bracci, das nominelle Oberhaupt der Familie, eine bedeutende Position innerhalb der Ndrangheta einnahm, der kalabrischen Mafia. Allerdings

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