Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kill Order

Kill Order

Titel: Kill Order Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
Vom Netzwerk:
als er es sich vorgestellt hatte.
    ‚Ich kann euch zehn Minuten verschaffen’, hatte Katzenbaum gesagt. ‚Du wirst die Frau sehen. Du wirst mit ihr reden können. Aber nur zehn Minuten. Alles andere ist zu gefährlich.’
    Was meinte er mit gefährlich? Gefährlich für Katzenbaum? Oder für ihn und Carmen? Aber wem sollte er vertrauen, wenn nicht Katzenbaum? Es gab sonst niemanden in diesem Loch, der auch nur einen Hauch Menschlichkeit besaß. Katzenbaum kümmerte sich um ihn. Er beschützte ihn vor Weiss. Er hatte das Treffen mit Carmen arrangiert. „Was meinst du?“, fragte er, den Mund dicht an ihrem Haar. „Was muss ich tun?“
    „Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, was sie von dir erwarten.“
    Ihre Antwort schürte sein Ohnmachtsgefühl. Er hatte ihnen alles gesagt. Es gab nichts mehr zu verraten. Keine Geheimnisse, mit denen er sich freikaufen konnte. Er hatte alles hergegeben. Er war nichts weiter als eine leere Hülle, deren Inhalt gewaltsam entfernt worden war.
     
    „Ich kann nichts tun“, sagte Katzenbaum, später, als Rafiq zurück in seiner Zelle war. „Sie untersteht nicht meinem Einflussbereich.“
    „Sie sagt, es würde bei mir liegen, ob sie ihr etwas antun oder nicht. Was hat sie damit gemeint?“
    Katzenbaum setzte sich auf den Stuhl, die Arme auf die Rückenlehne gestützt. In seinem Gesicht arbeitete es. Der Israeli wollte etwas sagen, wusste aber nicht, wie er es ausdrücken sollte. „Es gibt da eine Sache. Nur eine Überlegung, aber die wird dir nicht gefallen.“
    „Was?“
    „Ich habe ihnen gesagt, dass du dich nicht darauf einlassen wirst. Weil es gegen deine Prinzipien verstößt.“
    Rafiq schüttelte den Kopf. „Wovon redest du?“
    „Von einer Vereinbarung.“ Katzenbaum lehnte sich ein Stück vor. „Wir brauchen Verbündete auf der anderen Seite. Leute, denen wir vertrauen können.“
    „Ihr braucht Verräter.“
    „Siehst du, das habe ich ihnen gesagt. Du hast strenge Prinzipien. Du wirst dich nicht darauf einlassen.“
    „Warte.“ Rafiqs Gedanken überschlugen sich. „Wie läuft so was ab?“ Er sah den Strohhalm, der sich ihm bot. Prinzipien? Ein Hohn. Es war alles eine Frage der Verhältnismäßigkeit. War es legitim, für Prinzipien mit dem Leben zu bezahlen? Wer hatte denn das Recht auf seiner Seite? Es hing doch immer davon ab, an welcher Front man kämpfte.
    „Eigentlich“, sagte Katzenbaum, „ist es ganz einfach.“

21
     
    Hermel | Libanon , Gegenwart
     
    N
    ikolaj sah, dass sich etwas an Carmen verändert hatte. Vielleicht war es eine Folge der Erschöpfung. Vielleicht hatte sie auch innerlich aufgegeben. Sie wirkte vollkommen willenlos. Sie war nicht in der Lage, sich zu waschen oder etwas zu essen. Obwohl bei Bewusstsein, reagierte sie kaum auf seine Versuche, sie anzusprechen.
    Sie hatten sich in einem kleinen Motel am Rande von Hermel einquartiert, einer Touristenanlage, die nach dem Vorbild amerikanischer Drive-Ins gebaut war. Die Zimmer befanden sich in einem flachen, lang gezogenen Gebäude und waren vom Parkplatz aus zugänglich.
    Er hatte Carmen auf das Doppelbett gelegt, die Vorhänge zugezogen und den Fernseher eingeschaltet. Sie beobachtete ihn unter halb geschlossenen Lidern, während er Lebensmittel und Kleidung auspackte. Er spürte ihre Blicke in seinem Rücken, als er ins Bad ging, um sich Hände und Gesicht zu waschen. Danach ließ er sich neben ihr aufs Bett sinken und sah sie an. Ihr Gesicht war noch immer mit Schlieren aus Blut, Staub und Tränen verschmiert. Die kleine Schnittwunde, die er ihr am Kinn zugefügt hatte, sah rot und entzündet aus. „Es tut mir leid“, sagte er. Seine eigenen Worte kamen ihm verlogen vor. Er hatte sie doch mit Absicht verletzt. „Willst du duschen? Es gibt heißes Wasser.“
    Sie schloss die Augen.
    „Und du musst essen.“ Er betrachtete die violett verfärbten Würgemale an ihrem Hals. Plötzlich verabscheute er sich selbst. Das, was er getan hatte, was er wieder tun würde. Das, was er war.
    Sie wehrte sich nicht, als er sie hochhob. Wie ein Kind trug er sie in das kleine Badezimmer. Mit dem Fuß breitete er ein Handtuch auf den Fliesen aus und setzte sie auf dem Boden ab.
    „Ich bin so müde.“ Ihre Stimme brach.
    Er ließ sich auf ein Knie nieder. „Willst du, dass ich dir beim Ausziehen helfe?“
    Sie öffnete die Augen einen kleinen Spalt, sagte aber nichts. Er nahm es als Zustimmung. Zögerlich zuerst, streifte er ihr die Bluse vom Körper, dann den Rock, der an der Seitennaht

Weitere Kostenlose Bücher