Kill Order
aufgerissen war. Ihre Knöchel waren von einem Geflecht schorfiger Kratzer überzogen. Ihr rechtes Knie war geschwollen und hatte sich dunkel verfärbt. Der Sturz vom Balkon.
Übelkeit stieg in ihm auf. Das Gefühl von Schuld verengte seine Kehle. Behutsam setzte er sie in die Wanne. Er stellte das Wasser an, nahm einen Waschlappen und begann sie zu baden wie ein Kind. Flüchtig blitzte der Gedanke auf, wie sehr er sich das einst gewünscht hatte. Es war etwas, von dem er geträumt hatte, und war es auch wieder nicht. Es war ein Zerrbild des alten Traums. Obwohl sie nackt war, obwohl er sie berührte, klang nicht einmal ein Hauch von Erregung an. Nichts lag ihm in diesem Moment ferner als das.
Mit kleinen Bewegungen tupfte er ihr das Blut aus dem Gesicht. Er versuchte, ihr nicht wehzutun, während er die Wunden reinigte, die er ihr selbst zugefügt hatte. Sie schien kaum zu registrieren, was mit ihr geschah. Ihre Augen blieben geschlossen, nur die Lider zuckten ein wenig. Er stellte das Wasser ab, zog sie hoch und hüllte sie in ein Handtuch. Dann trug er sie zurück ins Bett und deckte sie zu. Er flößte ihr etwas Wasser ein und ein paar Bissen Weißbrot, die sie widerwillig schluckte.
Die Zeiger seiner Armbanduhr standen auf Viertel vor Zwei. Er brauchte ein anderes Fahrzeug. Und sie würden ihr Äußeres verändern müssen. Aber dafür blieb auch morgen noch Zeit.
Erschöpft legte er sich neben sie aufs Bett und schlief beinahe auf der Stelle ein.
„Wie ist der Kaffee?“, fragte er am nächsten Morgen. Ans Fenster gelehnt beobachtete er den Parkplatz, während Carmen in seine Jeans schlüpfte, die er von Hawqa mitgenommen hatte. Die Hose war zu weit, aber als sie das T-Shirt darüber zog, sah es besser aus. Sie ließ sich wieder aufs Bett sinken, zog die Knie hoch und stützte ihren Arm mit dem Kaffeebecher darauf ab. Ihre Lebensgeister waren zurückgekehrt. Sie ließ den Vorabend unerwähnt und auch er streifte die Ereignisse mit keinem Wort. Er hatte den Eindruck, dass ihr der Zusammenbruch peinlich war.
„Ich nehme normalerweise Milch und Zucker“, sagte sie.
Er warf einen Blick auf die aufgerissene Packung Instant-Kaffee. „Tut mir leid, war leider aus.“
Es herrschte eine vorsichtige, aber nicht feindselige Anspannung, die keiner von ihnen zu belasten wagte. Weder er noch Carmen mochten den zerbrechlichen Frieden stören.
„Was ist gestern passiert?“, fragte sie. „Auf der Straße?“
„Eine Straßensperre. Syrisches Militär.“
Sie runzelte die Stirn. „Syrer?“
„Ich weiß nicht. Ich wollte lieber nicht anhalten und sie fragen, was ihr Problem ist.“ Es war ein schwacher Versuch, einen Scherz zu machen. Natürlich lachte sie nicht.
Sie lehnte sich tiefer in die Kissen. „Sieht so dein Leben aus? Ist das normal für dich?“ Ihr Blick suggerierte, dass es mehr war als nur der Versuch, ihn zu provozieren. Ihm wurde klar, dass sie wirklich eine Antwort wollte.
„Nein. Bevor ihr aufgetaucht seid, hatte ich ein ruhiges Dasein.“
„Was hast du gemacht, in diesem Haus in Hawqa?“
„Ich habe gemalt.“
„Gemalt?“
„Ich bin Maler.“
„Maler“, wiederholte sie. „Was malst du?“
Er stellte fest, dass die Unterhaltung ihm Vergnügen bereitete. Plötzlich verspürte er das Bedürfnis, ihr von Hawqa zu erzählen, von den Bergen, von St. Antonius und den Zedern, die der Schnee im Winter weiß sprenkelte. Dann drängte sich etwas anderes in den Vordergrund und überlagerte seine augenblickliche Unbefangenheit. Er hatte nie zuvor viel Lust verspürt, über seine Kunst zu reden. Warum? Für lange Jahre war die Malerei vor allem Tarnung gewesen. Sein Rang als Künstler diente ihm als Alibi. Das war ein schmerzlicher Makel. Ein Verrat an den eigenen Idealen. Aber kam es darauf überhaupt noch an?
Er liebte seine Pinsel und Farben, die weiß grundierte Leinwand, die ersten Linien, wenn sie grob die Form umrissen. Wie ein Gemälde Stück für Stück zum Leben erwachte, wie die Farben sich verbanden, die letzte Firnisschicht. Das Gefühl tiefer Befriedigung, wenn es vollendet war. Malerei war seine Passion und er hatte sie korrumpiert. Die Unschuld war fort und nichts konnte sie wiederbringen. Wie konnte ein Künstler sich in eine Situation bringen, die ihn zwang, seinen Stil grundsätzlich zu ändern? Das war wie eine Gesichtsoperation, wie die Verpflanzung der Seele in einen fremden Körper.
Doch genau das hatte er nach Berlin getan. Fabio war aufgeflogen und Nico
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