Kill Order
ohne dass etwas passierte. Erneut streckte er die Hand aus, drehte den Schlüssel herum und drückte die Klinke herunter.
Er wartete.
Stille.
Dann, mit sachtem Schwung, zog er die Tür auf, so dass sie nach außen aufschwang.
Ein gedämpftes Plopp, Holzsplitter und Putz flogen in alle Richtungen.
Er stieß gepresst den Atem aus. Wie hatten sie seine Spur gefunden? Und was bedeutete das für seine Pläne, die Überfahrt betreffend? Waren die ebenfalls aufgeflogen? Aus dem Zimmer drang kein einziger Laut. Er schwenkte den Arm mit der Waffe herum und löste sich von der Wand.
*
Die Schüsse, aus so kurzer Entfernung abgegeben, hallten betäubend laut in ihren Ohren. Ein Querschläger prallte irgendwo ab, sie hörte das Jaulen. Halb taub und vor Entsetzen zu kaum einem Gedanken fähig ließ Carmen sich auf den Boden fallen und kroch rückwärts unter dem Bett hindurch bis zur anderen Seite. Dass sie nicht sehen konnte, wo die Kugeln einschlugen, machte es nur schlimmer. Auf Knien und Ellenbogen schob sie sich nach hinten, bis sie gegen die Wand stieß. Eine kleine Lawine aus Putzbrocken traf ihr Gesicht, als ein Projektil dicht neben ihrem Kopf in die Wand schlug.
Abrupt riss der Geschosshagel ab, doch der Lärm in ihren Ohren dröhnte weiter. Erst verzögert registrierte sie, dass sie ihre eigenen Schreie hörte, dass sie unentwegt schrie, dass ihre Kehle heiser war vom Schreien.
Licht flammte auf. Sie schloss die Augen, ertrug das jetzt nicht. Eine Hand fasste sie an der Schulter und drehte sie herum, so dass ihre Stirn nicht länger gegen den Boden gepresst war.
„Bist du verletzt?“ Nikolajs Stimme klang rau. „Bist du ...“, er brach ab, seine Hände tasteten über ihren Körper, sie spürte seine Finger an ihren Handgelenken. „Oh Gott, Carmen, was soll ich mit dir machen?“
Geh weg, dachte sie. Ein Schluchzen stieg tief aus ihrer Kehle auf und schüttelte ihren Körper.
23
D
er Steg, den Delacroix beschrieben hatte, lag hinter einem Felsvorsprung und war von der Straße aus nicht zu sehen. Wind und Wetter hatten das Holz grau werden lassen, Tangbärte wuchsen in die Risse hinein. Es roch nach Algen und Fischabfällen. Wind frischte auf und trieb Salzwasser in feinen Tröpfchen vor sich her.
Nikolaj spürte, wie sich ein salziger Film auf seiner Haut bildete. Als die Wellen begannen, über den Steg zu schwappen, drehte er sich um und wanderte zur Straße zurück. Möwen kreischten, der Himmel färbte sich violett, bald würde die Nacht hereinbrechen.
Er warf einen Blick zum Wagen, den er zwischen Büschen geparkt hatte. Müdigkeit machte ihm zu schaffen. Nach der Schießerei gestern Abend hatten sie überstürzt das Hotel verlassen und die Nacht im Auto verbracht.
Carmen hatte er mit Händen und Füßen an den Beifahrersitz gefesselt. Das war nicht sehr bequem für sie, aber er wollte kein weiteres Risiko eingehen. Er fragte sich, wie schon den Tag zuvor, warum er überhaupt das Wagnis auf sich nahm, sie mit nach Zypern zu nehmen. Er konnte sie einfach hier zurücklassen. Allein ließ es sich leichter untertauchen. Carmen war eine tickende Zeitbombe. Trotzdem hatte er keinen Moment daran gedacht, ohne sie zu gehen. Irgendwann zwischen St. Erasmus und Hermel hatte sich sein Entschluss gefestigt.
Denn sie brauchten Zeit. Zeit, um miteinander zu reden. So viele Fragen hingen zwischen ihnen. Carmen stand für ein Stück seiner Vergangenheit, das er nicht wieder loslassen wollte. Es fühlte sich an, als sei ihm eine besondere Chance gegeben worden. Und wenn er Carmen gehen ließ, verschenkte er diese Chance, egal was danach passieren mochte.
Er musste in Ruhe mit ihr reden. Er wollte es ihr erklären, aber dafür brauchte er Zeit. Im Augenblick hasste sie ihn. Er konnte sie verstehen. Er hasste sich ja beinahe selbst.
Die Zeiger auf seiner Armbanduhr leuchteten grünlich in der Dämmerung. In vier Stunden würden die Schmuggler auftauchen.
*
Mit der Dunkelheit zogen Wolken auf, der Wind wurde kalt. Carmen schreckte hoch, als Nikolaj die Tür auf ihrer Seite öffnete. Sie war eingeschlafen und brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. Nikolaj löste ihre Fesseln und fasste sie beim Arm, um ihr beim Aussteigen zu helfen. Einen Herzschlag lang verspürte sie das kindische Bedürfnis, seine Hand abzuschütteln, doch unterdrückte die Regung.
Ihre Gelenke kribbelten schmerzhaft, als das Blut wieder zu zirkulieren begann. Sie streckte die Arme aus und machte ein paar
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