Kill Order
Schritte. Der Sand unter ihren nackten Sohlen fühlte sich kalt an.
Nikolaj stand einfach da und schwieg. Über seiner Schulter hing die Ledertasche. Sie spürte seine Präsenz wie ein stummes Vibrieren, auch als sie ihm den Rücken zuwandte.
„Was passiert jetzt?“ Sie lauschte der Meeresbrandung und starrte in die Dunkelheit. „War’s das? Erschießt du mich und ziehst deiner Wege?“
„Ich habe das kurz in Erwägung gezogen.“ Seine Stimme klang ausdruckslos. Sie knetete nervös ihre Finger. Es fiel ihr schwer, einzuschätzen, was an seinen Worten ernst war, und was nur Sarkasmus. Unbehaglich wartete sie darauf, dass er noch etwas hinzufügte. Etwas, das diesen letzten Satz relativierte. Doch er sagte nichts weiter. Sein Schweigen verstärkte ihre Beklemmung.
„Du hast das in Erwägung gezogen. Das heißt, jetzt tust du es nicht mehr?“
„Das letzte Mal, als ich darüber nachgedacht habe, war es ungefähr vier Uhr morgens.“
„Was hast du erwartet?“ Sie zuckte hilflos mit den Schultern. „Was würdest du tun, wenn du an meiner Stelle wärst?“
„Komm“, sagte er, „lass uns gehen.“
„Wohin?“
Vielleicht war es die Ungewissheit, die am meisten an ihren Nerven zehrte. Nicht zu wissen, was als nächstes passierte. Sie rührte an vergessen geglaubte Erinnerungen, keine davon angenehm.
„Hinunter zum Strand. Dort nimmt uns ein Boot auf. Sie bringen uns nach Zypern.“ Er streckte auffordernd die Hand aus, als sei sie ein trotziges Kind. „Jetzt komm.“
*
Die Schmuggler waren spät dran.
Mit zusammengekniffenen Augen starrte Nikolaj aufs Meer hinaus, dann wieder fixierte er die Leuchtzeiger seiner Armbanduhr. Der Wind türmte die See zu schwarzen Wogen, die sich krachend an den Felsen brachen. Seine Unruhe stieg mit jeder Minute und übertrug sich auf Carmen, die am Rand des Holzstegs stand und ins Wasser starrte, das gurgelnd die Pfähle umspülte.
„Es zieht ein Sturm auf“, sagte sie.
Er runzelte die Stirn. Sie sprach aus, was er selbst dachte. Das Wetter machte ihm Sorgen. Er fragte sich, ob Delacroix bei diesem Seegang überhaupt ausgelaufen war. Gischt schwappte über den Steg und benetzte seine Schuhe. Carmen wich zurück.
„Ich habe einen Vorschlag für dich.“ Sie drehte sich zu ihm um. Schwarz malte sich ihre Silhouette gegen den Nachthimmel ab. „Ich habe diesen Nervenkrieg satt. Es macht mich krank. Die letzten drei Tage haben ziemlich an meiner Substanz gezehrt und ich ...“ Sie verstummte.
Er regte sich nicht. Er fürchtete, sie würde sich sofort wieder in ihren Panzer flüchten, wenn er eine falsche Bewegung machte, nur etwas Falsches sagte. Also wartete er, während sie nach Worten rang.
„Ich dachte die ganze Zeit, du würdest ein Ende machen, wenn du bekommen hast, was du willst. Also einfach eine Kugel in die Stirn und eine in die Brust und dann – “ Sie stockte erneut. „Herrgott“, brach es aus ihr heraus, „lass mich diesen verdammten Fetzen ausziehen. Er macht mich wahnsinnig, ich kriege keine Luft in dem Ding.“
„Was?“
„Warum nicht?“, schnappte sie.
Er starrte sie an, unsicher, was er erwidern sollte. „Das Risiko kann ich nicht eingehen.“ Im gleichen Moment wurde ihm klar, wie ungeschickt seine Antwort war.
„Ach so.“ Der versöhnliche Tonfall war wie weggewischt. „Ich bin ja der Risikofaktor. Dann lass mich zurück, verdammt.“
„Ich kann dich aber nicht hier lassen.“
„Siehst du, das ist genau das Problem. Ich verstehe dich nicht. Ich habe dir alles gesagt, was ich weiß.“ Sie holte geräuschvoll Atem. „Das hat mich übrigens Nerven gekostet. Ich dachte, du legst mich um, wenn du mich nicht mehr brauchst.“
„Vielleicht brauche ich dich aber noch.“ Es ging ihm glatt über die Lippen, ohne nachzudenken. Im nächsten Augenblick hasste er sich dafür. Wieso hatte er so große Angst davor ihr zu sagen, was seine wirklichen Beweggründe waren?
„Na schön.“ Ihr Ton blieb sachlich. „Du willst dein Risiko minimieren. Das will ich auch. Ich habe diesen Job als Söldner übernommen, nicht als Überzeugungstäter. Also könnten wir eine Vereinbarung treffen, die es uns beiden leichter macht.“
„Eine Vereinbarung?“
„Ein zeitlich begrenztes Abkommen.“
„Und was“, fragte er hilflos, „hast du dir vorgestellt?“ Seine Nerven vibrierten. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie ausgerechnet jetzt reden wollte. Er war nicht vorbereitet und schien es mit jedem Satz, den er sagte, nur
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