Kill Order
und Gott vergib mir, ich kann sie mir nicht entgehen lassen. Geht’s dir nicht auch so, dass du nachts nicht einschlafen kannst, weil du dich fragst, ob Operation Wüstenwind gerechtfertigt war?“
„Doch“, Shalevs Stimme klang dumpf. „Ich will ihn. Ich will ihn wirklich.“
„Dann tu, was du kannst, damit ein Team in der Bucht wartet, wenn Fedorow einen Fuß auf den Strand setzt. Wir werden den nächsten Flug nach Larnaca nehmen, aber dann müssen wir uns immer noch um Ausrüstung kümmern.“
Katzenbaum stellte sich vor, wie Shalev in seinem Schlafzimmer stand, das Fenster geöffnet, das graue Haar ungekämmt und wirr vom Kopf abstehend. Vielleicht war er auch hinunter in die Küche gegangen oder ins Wohnzimmer, um seine Frau nicht zu wecken.
„Einverstanden.“
„Danke, Binyamin.“ Er warf einen Blick hinauf zum erleuchteten Wohnungsfenster. Rafiq war bereits vorgegangen. Es war ein gutes Team, aber sie waren so jung. Sie erwarteten so viel. Sie hatten noch nicht gelernt, mit Enttäuschungen zu leben. Vor allem Rafiq, in dem Katzenbaum stets mehr gesehen hatte als einfach nur einen Agenten, den sie umgedreht hatten. Es war nichts, das sie offen aussprachen, aber zwischen ihnen war etwas gewachsen in all den Jahren. Etwas, das in einem Gefängnistrakt in Megiddo seinen Anfang genommen hatte und das sich über die professionelle Gleichgültigkeit erhob, die den Umgang in ihrem Geschäft prägte. Vielleicht lag es an Rafiqs Naturell. Emotional und leicht zu begeistern, lebte er mit allen Sinnen. Er hielt Katzenbaum einen Spiegel vor, er verkörperte vieles, was Katzenbaum selbst hatte sein wollen, vor langer Zeit. Rafiq personifizierte alles, was er sich von einem Sohn gewünscht hätte.
Wenn… ja, wenn es ihm gelungen wäre, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Wenn er sein Leben anders geführt hätte. Wenn er es wirklich gewollt hätte. Aber das waren müßige Gedanken. Er ertrug es nicht, Rafiq zu enttäuschen. Und er wusste, dass sie ihn verlieren würden, wenn es dem Mossad nicht gelang, Carmen zurückzuholen.
*
Nur ein Schuss. Eine einzige Patrone befand sich in der Kammer. Es war zum Verzweifeln. Carmen stand vor der Tür und zielte auf das Schloss. Dann ließ sie die Pistole sinken. Wenn es ihr nicht gelang, das Schloss beim ersten Versuch zu zerstören, war die Kugel verloren. Und selbst wenn sie die Tür aufbrach, was dann? So vieles konnte schief gehen. Sie hatte kein Auto und keinen Dollar in der Tasche. Was, wenn sie Nikolaj auf dem Weg nach draußen begegnete?
Die Alternative bestand darin, sich aufs Bett zu setzen und kalkuliert auf seine Rückkehr zu warten. Er würde ahnungslos sein, wenn er die Tür öffnete. Sie konnte auf die Brust zielen. Das war ein großes Ziel, kaum zu verfehlen. Wenn Nikolaj zurück war, hatte sie alles, was sie brauchte. Ein Auto, eine Waffe und genügend Geld. Sie warf einen Blick aus dem Fenster. Die Straße lag verlassen da. Mit einer raschen Handbewegung schaltete sie das Licht aus.
*
Nikolaj betrat das Gebäude durch den Hofeingang. Der Concierge hockte auf seinem Stuhl hinter der Rezeption und verfolgte ein Fußballspiel im Fernsehen. Er blickte kaum auf, als Nikolaj ihm einen Gruß zuwarf.
Er passierte den defekten Fahrstuhl und stieg die Treppen hinauf in den dritten Stock. Irgendwo lief eine Toilettenspülung. Ein abgetretener roter Teppich folgte dem Verlauf des Korridors. Neonröhren spendeten in unregelmäßigen Abständen gelbliches Licht.
Das Zimmer lag ungefähr auf halber Höhe des Flurs. Vor der Tür blieb er stehen und wollte den Schlüssel ins Schloss stecken, als ihm der Putz auffiel, der in kleinen Bröckchen unter der Tür lag. Er bückte sich und fuhr mit dem Finger durch den weißen Staub. Das war noch nicht da gewesen, als er den Raum verlassen hatte. Bei näherer Betrachtung fand er Bruchstellen, an denen der Mörtel abgeplatzt war. Er trat einen Schritt zurück und musterte die Tür. Da hatte sich jemand am Schloss zu schaffen gemacht.
Seine Nackenhaut begann zu prickeln. Er zog die Pistole und entsicherte sie. Sein Blick wanderte hoch zu den verkratzten Neonleuchten. Rasch machte er zwei Schritte zurück und legte den Schalter um. Flackernd erlosch das Licht.
Er drückte sich mit dem Rücken gegen die Wand und schob den Schlüssel mit ausgestrecktem Arm ins Schloss. Das metallische Geräusch war unverkennbar und musste von innen gehört werden. Er zog den Arm zurück und wartete ein paar Sekunden,
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